Pech, nicht Schuld

Der Unfall, der am Mittwochabend hier am Rhein passierte, ist schrecklich. Der letzte Sommerabend in diesem Jahr, zu viel Risikofreude und Wettbewerbsgeist, von hoch oben hineinspringen, auf einem Boot aufschlagen, sich am Kopf verletzen und keine Chance mehr haben: leblos gefunden in acht Metern Tiefe. Zehnjährig.

Wie immer bei Unfällen taucht sofort die Schuldfrage auf. Unendlich überflüssig und unendlich unangebracht. Seien wir doch einfach ehrlich: Wir alle lassen unsere Kinder immer wieder unbeaufsichtigt, sei es für ein paar Sekunden, ein paar Minuten oder ein paar Stunden. Immer könnte etwas passieren, meistens passiert nichts. Das ist aber nicht unser Verdienst – oder nur (sehr) beschränkt. Nein, wir hatten einfach Glück. So, wie diese Familie Pech hatte. Es ist unendlich daneben, Schuldzuweisungen zu machen.

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Heute Morgen konnte ich zum Glück schlafen. Sonst geht irgendwann gar nichts mehr. Viel bleibt liegen, zu viel.

Das habe ich diesem Arzt, zu dem die Versicherungen Vertrauen haben dürfen, auch gesagt, worauf er die selten naive Frage stellte, was denn liegen bleibe. Am besten hätte ich ihn wohl zurückgefragt, ob er zu Hause eine Frau habe, die ihm alles abnehme und sich um alles kümmere. Wobei die Frage bei jemandem, der sich selbst prostituiert und so einem ganzen Berufsstand schadet, ja auch nicht viel bringt.

Bald habe ich wohl die wichtigsten Punkte dieses leicht traumatischen Besuchs geschildert. Auch wenn ein solches Vorgehen bei längerer Krankschreibung üblich sein mag und auch wenn es „schwarze Schafe“ gibt, ist es für Betroffene von nicht ganz harmlosen (Achtung: Untertreibung!) Erkrankungen eine demütigende Erfahrung. Manchmal möchte ich mit solchen Personen tauschen; einfach nur tauschen und schauen, was sie nach ein paar Monaten (noch) zu sagen hätten…

Übrigens rief er meine Hausärztin zwei Tage (!!) vor meinem Besuch an und fragte sie, was  ich denn hätte. Wie seriös. Darum blätterte er dann auch so unbeholfen in den Unterlagen, als ich bei ihm war, und fand nichts in nützlicher Frist. Dafür fielen ihm die MS-Übungen ein…

Zu meiner Hausärztin gehe ich am Montagnachmittag. Dann besprechen wir die beiden Blutwerte, die eher bedenklich sind, und ich schenke ihr endlich die CD „Rail Tracks“ von Gion. Das wollte ich schon seit einiger Zeit… Als ich zum ersten Mal bei ihr war, erzählte ich ihr nämlich von ihm, und sie erzählte mir von ihrer Heimatstadt, wo sie oft an kleinere Konzerte gegangen war.

Musik verbindet. Auch in der Gesangsstunde von heute. Zwar brauchte ich länger als in der letzten, um die Stimme zu dem, was sie eigentlich kann, zu bringen, aber dann lief es ganz gut und ich habe einiges gelernt. Es ist immer wieder eindrücklich, wie viel hinter einzelnen Passagen steckt. Sie kommen so unscheinbar daher, sind aber recht anspruchsvoll.

„When you’re feeling lost in the snows of New York, lift your heart and think of me.“

 

2 Kommentare zu „Pech, nicht Schuld

  • ich kann dir so gut nachfühlen, was du über dich ergehen lassen musstest, habe genau das gleiche erlebt! bin froh, hast du dich nicht völlig unterkriegen lassen und kämpfst jeden tag aufs neue weiter! ganz liebe grüsse, jeannette

    • Danke für deine Rückmeldung! (Hab sie erst gerade gesehen; irgendwas mit den Benachrichtigungen stimmt nicht…)
      Ich fände es halt wichtig, dass möglichst viele Betroffene über ihre Erfahrungen berichten. Es sind ja nicht wenige, wie ich immer wieder feststelle, aber viele trauen sich nicht so recht. (Was ich auch verstehen kann…) – Meinen Blog würde ich auch als Plattform für andere zu Verfügung stellen; sei es in Beiträgen, sei es in Kommentaren. Und wer möchte, kann ja die Namen einfach abändern.
      Schönes Wochenende und liebe Grüsse!

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