Schwimmen oder gebären?

Sommer-Flash 2:

Heute ist Taiebs Geburtstag. Nicht irgendein Geburtstag, sondern sein erster runder Geburtstag. Eigentlich müssten wir von Geburts-Nacht sprechen; Taieb kam um 22.53 Uhr auf die Welt. Für Kinder ist ihr Geburtstag ein Ereignis, für Mütter eher eine Erinnerung. Ein runder sowieso.

Natürlich erinnere ich mich, wie Claudia mich am Morgen von Lenzburg nach Aarau ins Spital fuhr – zur Kontrolle wohlverstanden. Natürlich erinnere ich mich an die schlaflose Nacht zuvor und an die Krämpfe im Auto. Wie ich sie zu unterdrücken versuchte, indem ich mich gegen den Autositz stemmte. Claudia schaute mich von der Seite an und war der festen Ansicht, ich würde das Spital nicht mehr schwanger verlassen. An die Aussage der mich kurz darauf untersuchenden Ärztin, der Muttermund sei noch nicht weit geöffnet, ich könne schon noch schwimmen gehen. Das hatte ich mir nämlich in den Kopf gesetzt, das war mein Plan und meine dringendste Frage gewesen. Ich wollte nicht gebären, ich wollte schwimmen gehen. Im See, im Zürichsee. (Anmerkung: Ich bin heute immer noch beharrlich, verfolge meine Ziele aber mit etwas mehr Flexibilität. ;-))

Taiebs errechnetes Geburtsdatum war der 1. August, ich hatte also noch eine ganze Woche Zeit, im Zürichsee schwimmen zu gehen. Gut, dass dieser Muttermund mir keinen Strich durch die Rechnung machte. Am Nachmittag waren mein Mann und ich am Mythenquai. Er fand mich zwar verrückt, kam aber mit und war als Erster im Wasser. Ich hatte so ein richtig schreckliches Badekleid, weil ich in den Umständen kein anderes gefunden hatte. Es war braun. (Wäh!)

Gerade als ich aufstand, kam eine Welle über den See und eine Wehe über mich. Ich musste einsehen, dass aus dem Schwimmen im Zürichsee nichts mehr würde. Wir fuhren mit der Strassenbahn zum Hauptbahnhof zurück, und ich fragte in der Apotheke nach Mitteln gegen Bauchkrämpfe. (Die Naivität ist peinlich, ich weiss.) „Wann haben Sie denn den Termin?“, fragten die beiden Angestellten, die uns bedienten. Beide blond, beide fürsorglich, herzlich und fröhlich, Mütter erwachsener Kinder, wie sich in unserem späteren Kontakt herausstellte. „Am 1. August.“, antwortete ich. („Jedenfalls nicht heute.“, dachte ich und fühlte mich um mein Schwimmen im See, das ich so liebte, betrogen.) „Dann könnte es aber schon sein, dass es langsam losgeht.“ Die nächste Wehe kam und ich musste mich in der Apotheke auf eine Bank setzen.

Danach fuhren wir nach Lenzburg zurück. Die Krämpfe konnte ich im Zug kaum noch überspielen. Zu Hause fiel ich aufs Bett, die Fruchtblase platzte, mein Mann rief ein Taxi, ich schaffte kaum noch die Treppen vom vierten Stockwerk hinunter. Der Taxifahrer, Vater von vier Kindern, schaltete rote Blinklichter ein, sagte, er wolle einfach nicht, dass ich in seinem Taxi gebären würde, und fuhr mit 140 Sachen zum Kantonsspital Aarau. Es war kurz nach 22 Uhr.

Wir wurden beim Eingang bereits empfangen; ich wurde durch die leeren Gänge gefahren und schrie, dass, wie ich später erfuhr, alle auf der Abteilung mich hörten. Um 22.53 Uhr war Taieb auf der Welt. Gesund, munter und sehr hübsch. „Schauen Sie mal das schöne Kind an!“, meinte die Hebamme, die bei der Geburt geholfen und gemerkt hatte, dass die Schmerzen – ohne PDA, ohne irgendwas – mich an ungekannte und ungeahnte Grenzen gebracht hatten. Zwei Tage nach seiner Geburt sagte eine Krankenschwester zu uns, die ganze Abteilung rede von dem hübschen Baby.

Zehn Tage später, als mein Bauch wieder flach war und niemand mehr etwas von der Schwangerschaft sah, war die Erklärung der erstaunten Gynäkologin auch eine Erleichterung für mich: „Ihre Gebärmutter arbeitet unglaublich gut. Eine Rückbildung innerhalb von zehn Tagen hat Seltenheitswert. Die Geburt muss genau aus dem Grund noch viel schmerzhafter gewesen sein, als eine Geburt ohnehin schon ist.“

Sie hat mich stark gemacht. Und Taieb ist immer noch hübsch. 🙂

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