Blockiert

Schon acht Tage sind wir in Marokko.
Darüber geschrieben habe ich noch nichts.
Nicht etwa, weil ich nichts zu berichten hätte – im Gegenteil: Ich habe grad so viel zu berichten, dass ich irgendwie blockiert bin.
Darum versuche ich jetzt mal, die Blockade so ein kleines bisschen aufzulösen, indem ich, mit Peter im Zug von Casablanca nach Meknès sitzend, einfach mal drauflos schreibe:
Die Fahrt dauert drei Stunden; wir haben uns angesichts der steigenden Temperaturen mit Wasser eingedeckt und an der „Minibar“ Sandwiches und Tee gekauft.
Wir werden drei Nächte in einem wunderschönen, typisch marokkanischen Riad verbringen und wollen die Stadt Meknès, die Stadt Fès sowie die römische Ausgrabungsstätte Volubilis besuchen. Ich bin an all‘ diesen Orten schon gewesen und freue mich, sie ein weiteres Mal besuchen zu können.

Hinter mir weint grad ein Kind. Es tut mir leid; wahrscheinlich ist ihm (auch) zu heiss.

A propos Kinder: Die sind hier, wenn ich mir so eine allgemeine Aussage, zu der es natürlich immer Ausnahmen auf „beiden Seiten“ gibt, erlauben darf, (sehr) viel angenehmer als bei uns. Diese verwöhnten Fratzen, die von klein auf suggeriert bekommen haben, dass die Welt sich um sie dreht (wovon die Welt, man höre und staune, nie ‘was bemerkt…) und damit mit einem grossen Irrtum und einem grossen Defizit ins Leben starten, gibt es hier (sehr) viel seltener.
Die Kinder dürfen Kinder sein, sie sind keine ehrgeizigen Projekte, keine verzogenen Produkte. Sie sind in den Alltag integriert, gehören einfach dazu, machen alles mit und sind weder wichtiger noch weniger wichtig als andere Familienmitglieder. Und davon gibt es meistens – und das ist grad nochmals ein Glück für die Kinder – ziemlich viele. Wenn die Kleinen Aufmerksamkeit suchen, lässt niemand alles stehen oder fallen, sondern sie müssen warten, bis sie an der Reihe sind. Wenn sie hinfallen, springt niemand panisch auf und macht ein Drama; kurzes Hinschauen und ein aufmunterndes Zulächeln genügen.
(Beides und noch so einiges mehr hab‘ ich beobachtet…)

Und wenn die Menschheit überhaupt eine Chance hat zu überleben (was ich schon seit längerem bezweifle und seit der „Corona“-Hysterie, dem systematischen Diffamieren und Ausschalten von kritischen Stimmen, dem grassierenden „du-hast-dich-gefälligst-an-die-Massnahmen-zu-halten“-Bünzlibürgertum und der heuchlerischen, scheinheiligen, grossmauligen Solidarität (🤮) noch viel mehr bezweifle), wenn also die Menschheit überhaupt eine Chance hat zu überleben, dann werden es die Nationen sein, die ihre Kinder nicht wie Püppchen verhätschelt, sondern zu lebensfähigen und lebenstüchtigen Erwachsenen erzogen haben. Und von diesen Menschen gibt es – zum Beispiel – in Marokko deutlich mehr als in den sogenannt westlich-zivilisierten Ländern. Jedenfalls kam mir diese Einsicht eines Abends, als ich ein bisschen über meine Beobachtungen nachdachte. Und sie hatte etwas Befreiendes, Entlastendes, Zuversichtliches.

Was ich nicht in Worte fassen kann: wie froh ich bin, dass meine Kinder ihre marokkanische Seite kennen und Zeit mit ihren Verwandten verbringen können, und wie wichtig und wertvoll ich das finde: für ihre Entwicklung, ihre Selbstfindung, ihre Identität, ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen – alles gesund entwickelt und mir vielleicht grad darum besonders wichtig.
(Damit es so wunderbar erhalten bleibt.)
Wie dankbar ich bin, in der Familie hier so willkommen wie eh und je zu sein – das kann ich ebenfalls nicht in Worte fassen. Das werd‘ ich wohl auch nie können: unvorstellbar, undenkbar – wie gut auch immer ich mich mit Worten auszudrücken vermag.

Und das ist auch der Grund für meine Blockade. Zu tief haben mich die Offenheit, die Gastfreundschaft, die Wärme und insbesondere die Selbstverständlichkeit, mit der ich immer dazu gehört habe und immer dazugehören werde, berührt.
Und nein, ich verkläre oder beschönige hier gar nix – dazu fehlen mir Naivität wie Unehrlichkeit.
Es ist, wie es ist – und genau darum schwierig auszudrücken.
Hat sicher auch mit meiner eigenen (Schweizer) 
Verwandtschaft zu tun.
Mit der Tatsache, dass ich auch weiss, wie es ist, nicht angenommen zu werden.

Das Kind hat zum Glück nicht lange geweint.

Und wir sind angekommen.

Sonnige Grüsse aus dem heissen Meknès. ☀️

– – –

Bilder von Taiebs Geburtstag im Hotel Val d‘Anfa und im Restaurant „Oh La by Aux Crevettes“ in Casablanca.

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