Sommerflash 3 – auf dem Polizeiposten

„Und dann noch vor ihr!“, rief der Mann empört. Ich war in unsere Reiseunterlagen vertieft & hörte den Satz nur mit halbem Ohr. Yasmin stiess mich an & kicherte: „Er meint imfall dich.“ Ich schaute auf & sah, wie er mit ausgestrecktem Finger auf mich zeigte.

OK. Wir sassen im Wartebereich der Kantonspolizei, da wir zwei Verlustanzeigen aufgeben mussten: eine für meinen Pass, eine für Yasmins ID. Irgendwie sind beim Umzug beide verschwunden. (Die Überordentlichen, denen so etwas natürlich niiieee passieren könnte, sollen jetzt bitte nicht aufheulen. Dieses Überordentliche ist nämlich auch überaus langweilig. Und beschert einem selten das, was ein Leben bunt, vielfältig, abwechslungsreich, intensiv, mutig & einzigartig macht. (Klammer zu.))

Anyway, wir sassen also dort & warteten auf die Aushändigung der beiden Verlustanzeigen. Denn wir benötigen sie, um unsere neuen Pässe & ID abholen zu können. Wir wollen ja auf Sansibar. 😊

Der Mann war von der Polizei auf den Posten geschleppt worden; aus welchem Grund, entzieht sich unserer Kenntnis. Er war aufgebracht & versuchte mehrmals abzuhauen, sodass immer mehr Polizisten & Polizistinnen aus den Büros kamen & um ihn herum standen. Er fragte jede(n), ob er oder sie auch wirklich Polizist(in) sei, und verlangte von jedem den Ausweis.

Diese machten das Spielchen mit & versuchten gleichzeitig, ihn zu beruhigen. Doch er liess sich kaum beruhigen & war der felsenfesten Überzeugung, dass er zu Unrecht auf dem Posten sei. (Was ja auch sein kann…) Er erzählte seine Version, fragte immer wieder, warum er eigentlich hier sei, und zeigte dann eben auf mich. „Und dann noch vor ihr!“

Ich schaute auf, blickte dem ausgestreckten Finger entlang in sein Gesicht & antwortete: „Wissen Sie was, ich war auch schon einmal als Beschuldigte hier. Ich wurde hier auch schon einmal einvernommen. Vor mir müssen Sie sich nicht schämen.“

Waaas, das glaube ich dir jetzt gar nicht. So siehst du aber gar nicht aus.“

“Ja gell, das würden Sie mir nicht geben.“

“Nein, komm schon, das stimmt nicht, du bist viel zu fein, um etwas zu verbrechen.“

“Ich hatte etwas geschrieben, was jemand anderen durchdrehen liess.“

“Ist ja krass. Was denn?!“

“Einen Beitrag in meinem Blog.“

“Wahnsinn.
Bist du Schauspielerin?“

“Nein, Lehrerin. Und noch ein bisschen Musikerin. Hab‘ heute Morgen Videoaufnahmen gemacht. Darum bin ich noch so geschminkt.“

“Ach so.“

“Und Bloggerin. Und in dieser Funktion eben auch schon hierher gebracht worden. Nach einer Hausdurchsuchung im Übrigen. 2017 war das. Im Frühling.“

“Ist ja krass. Hätt‘ ich dir nie gegeben. Siehst so schön & fein aus.“

“Ja, das sind doch oft die Toughsten, oder?“

“Hat was, ja…“

Mittlerweile hatte er sich beruhigt & ging mit zwei Polizisten ins Büro. Ich verabschiedete mich noch kurz von ihm.
Das war am Montagnachmittag.
Gestern kam Yasmin nach Hause & erzählte mir, sie habe ihn am Bahnhof gesehen. Ich war froh, dass er wieder frei ist.
“Nächstes Mal grüsst du ihn von mir“, sagte ich.

Anmerkungen:

* Yasmin steht für N., also für meine Tochter.

* „fein“ ist zwar Hochdeutsch nicht korrekt verwendet. Aber da der Dialog auf Schweizerdeutsch erfolgte, gefällt es mir so. Hochdeutsch wäre es wohl „grazil“ oder „zierlich“ oder …

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