Die Entthronung

„Wow, du siehst super aus!“
Diesen Satz & weitere ähnliche Sätze hörte ich am Donnerstag x-mal. Offenbar steht das grüne Kleid mir besonders gut, denn obschon ich immer wieder Komplimente zum Aussehen, dem Outfit oder meinem Stil bekomme, waren es am Donnerstag noch mehr. Von Schülerinnen, von meinen Arbeitskolleginnen Janine, Nadine & Steffi sowie von der Schulleitung. Ja, sogar von der Schulleitung. 😀

Hab‘ mich natürlich darüber gefreut. Es ist ja leider nicht selbstverständlich, dass Menschen anderen Menschen Komplimente machen können. In der Schweiz schon gar nicht.

Am wenigsten können es narzisstisch geprägte Persönlichkeiten. Es sei denn, ihr Gegenüber sei unerfahren, psychisch angeschlagen, sozial inkompetent & unattraktiv. Dann fühlen sie sich – für einmal (!) – stärker, sodass das Bedürfnis, abzuwerten & kleinzumachen, schwindet.

Aber lassen wir das.
Not my problem anymore.
Unter anderem darum darf & kann ich ja auch wieder scheinen…

„Wo arbeiten Sie denn, dass Sie so schick angezogen sind?“, fragte mich am Mittwochabend, als ich das violette Kleid trug, die sehr junge Kosmetikerin, zu der ich für eine weitere Laserbehandlung ging. Wie auch schon erwähnt, bin ich begeistert von den bisherigen Ergebnissen & kann diese Behandlungen nur empfehlen. Vor allem bei so idealen Voraussetzungen wie bei mir: helle Haut & dunkle Haare. Dadurch erkennt der Laser die Haare extrem gut, sodass die Resultate dementsprechend sind.

„In einer Schule, ich bin Lehrerin“, antwortete ich. „Es sieht voll schön aus“, betonte sie. Dabei schaute sie mir ins Gesicht, wodurch ich erst recht bemerkte, wie herzlich & ehrlich es gemeint war.

Und dann war da noch der Freitag der Mottowoche an unserer Schule, wo ich ebenfalls total viele Komplimente bekam, sogar von Jungs. 😅
Das Motto war Kopfbedeckung & ich trug den in der Menara Mall von Marrakesch für das Song-Video zu „Snows of New York“ gekauften pinken Hut. Dazu ein pinkes Oberteil sowie ebenfalls in der Menara Mall gekaufte pinke Ohrringe. Und pinken Lidschatten.

„Sie gsehnd huere guet uus“, meinte damals schon frühmorgens eine Schülerin aus der Parallelklasse zu mir. „Ja, würklich huere guet“, bekräftigte ihre Banknachbarin. Das fand ich sehr süss von den beiden & der Start in den Freitag war voll geglückt.

Noch kurz der Vollständigkeit halber:
Motto am Montag: Sportbekleidung
Motto am Dienstag: bunt („Ja also, diese Hose fehlt mir noch im Schrank“, sagte mein Arbeitskollege Stefan zu mir. 😄)
Mittwoch: nichts
Motto am Donnerstag: ganze Klasse gleich
Motto am Freitag: Kopfbedeckung (siehe oben)
Das war eine coole Sache, hat Spass gemacht.

Auch der Start in den letzten Freitag, also vorgestern, war voll geglückt. Es war mein Geburtstag, was ich nicht etwa mitgeteilt hatte, woran die Schüler & Schülerinnen sich jedoch erinnerten: Drei Jungs aus meiner Klasse kamen, obschon sie nicht mal bei mir Unterricht hatten, extra ins Klassenzimmer, wo sie „Happy Birthday“ sangen.

Dass jüngere Kinder so etwas machen, ist nicht speziell. Primarlehrerinnen & Kindergärtnerinnen bekommen Bewunderung & Liebe so gut wie gratis. Doch sobald die Entthronung der Lehrer & Lehrerinnen (siehe „Jugendjahre“ von Remo Largo) stattgefunden hat (was spätestens mit dem Eintritt in die Oberstufe passiert…) bekommen Akzeptanz & Anerkennung eine ganz andere Bedeutung.

Durch eben nicht mehr Kinder, sondern Teenager.
Die sehr vieles aussagt, da sie nicht mehr so gut wie gratis, sondern teuer ist.
Da man was ganz anderes an Persönlichkeit mitbringen muss.
Da die Kids in einer diesbezüglich viel anspruchsvolleren Phase sind.
Da sie viel kritischer geworden sind.
Usw. usf.

Darum berührte mich das am Freitagmorgen früh eben besonders.
Darum berührte mich, dass eine andere Klasse am Nachmittag auch wieder für mich singen wollte.
Sogar auf Französisch.
Fast schon unglaublich…

(Wer weiss, wie beliebt Französisch ist, weiss wohl auch, was ich meine.)

Darum berührte mich die Aussage eines vierten Schülers aus meiner Klasse, sie müssten noch für mich singen. Als ich „nein, nein, ist schon gut“ sagte, fand er: „Doch, Sie singen auch immer für uns, dann müssen wir jetzt auch für Sie.“

So oder so ging ich mit beiden Klassen für je 35 Minuten nach draussen, wo sie „15, 14“ spielen & das Sommerwetter geniessen konnten. Auch hatte ich für alle drei Klassen Schokoladekuchen & Madeleines gekauft. Diejenigen, die fasten, durften davon mit nach Hause nehmen.

Ich habe im Rahmen von Vorträgen der Schüler & Schülerinnen sowohl den Ramadan wie auch Ostern thematisiert. Dazu kam ein Vortrag über ein wichtiges hinduistisches Fest, das ebenfalls im März stattfand. Alles sehr spannend.

Amir* macht auch Ramadan. Zur Zeit ist er mit Vorbereitungen fürs „Eid al Fitr“, hierzulande besser als „Bayram“ bekannt, beschäftigt. Dieses dauert von Dienstagabend bis Mittwochabend.

Er kam in Tanger zur Welt & wuchs dort auf, bis er neun war. Dann zog er mit seiner Mutter & seinen fünf Brüdern nach Frankfurt, wo sein Vater schon über 20 Jahren wohnte & arbeitete. Etwa drei bis vier Monate im Jahr verbrachte dieser allerdings schon bei seiner Familie in Marokko.

Als einzige in Tanger blieb Amirs* Schwester, die älteste der sieben Kinder. Sie war bereits verliebt & verlobt, liess sich später jedoch scheiden, was erstens zur damaligen Zeit & zweitens für eine Frau schon sehr mutig war. Mit ihrem zweiten (verstorbenen) Ehemann hat sie eine Tochter, die in Casablanca lebt, und zwei Söhne, die in Tanger geblieben sind.

So kam Amir* also, ohne ein Wort Deutsch zu können, nach Frankfurt. Dort nahm, nachdem die Lehrerin dazu aufgerufen hatte, die Mutter eines Mitschülers sich seiner an & brachte ihm die Sprache bei. Jetzt schreibt er besser Deutsch als die meisten, die in Deutschland geboren wurden & mit deutschsprachigen Eltern aufwuchsen.

Er machte das Abitur & studierte. Was er studierte, möchte ich hier nicht bekannt geben, da sonst auf seinen Beruf & evt. auch den Arbeitgeber geschlossen bzw. danach gegoogelt werden kann. Und das brauch‘ ich jetzt grad nicht. 😉

In die Schweiz kam er auf zwei Spontanbewerbungen hin. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie zu einem Jobangebot führen würden, und erst noch zu einem guten. Er musste sich übers Wochenende entscheiden, wagte den Schritt & zog in die Schweiz.

Einige Jahre später bekam er ein weiteres Jobangebot hierzulande & wechselte nochmals. Dies, obschon es ihm, wo er arbeitete, sehr gut gefiel. Zum Glück ist das jetzt auch wieder so.

Veränderungen wagen, sich weiterentwickeln…

Das gefällt mir, ich gebe es zu.

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