Surreal

„Hupen die jetzt wegen uns?“, meinte Amir* zu mir & schaute mich von der Seite mit seinem süssen Lächeln, das mir so gefällt, an.
„Ja genau, das hab‘ ich mir auch gedacht“, erwiderte ich.

Wir lachten beide & gingen Arm in Arm zum Landesmuseum hinüber.
Da, wo wir bei unserem zweiten Date fast überfahren worden wären & für teils amüsierte, teils genervte Blicke & einiges Kopfschütteln gesorgt hatten.
Wir erinnerten uns beide daran & mussten grad nochmals lachen.

Eigentlich hatten wir beide einen Zug kurz nach 23 Uhr nehmen wollen. So standen wir also vor dem Gleis 15 & umarmten uns. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, er gab mir einen auf den Mund & dann ging plötzlich alles sehr schnell.

Beide Zungen kamen ins Spiel, unsere Hände tasteten Kopf & Oberkörper des Gegenübers ab.
Ständig gingen Menschen an uns vorbei…
Etwas später würde Amir* sagen: „Du wirst morgen im Klassenchat nicht nur die Mitteilung, dass ihr in die Badi geht, finden…“ 😂

Das war natürlich grad nochmals nicht nur sehr humorvoll, sondern auch sehr süss. Und ja, das hätte auch tatsächlich passieren können. Wir standen da in dieser grossen Bahnhofshalle & küssten uns etwa 35 Minuten lang. Und zwar leidenschaftlich & intensiv. Wenn das jemand gefilmt hätte, wäre es durchaus ein aufregendes Video geworden.

Wir waren nur bei uns, spürten nur uns. Ringsherum vorbeieilende Menschen & eben die hupenden Autofahrer & -fahrerinnen. Viele…! Die ganze Stunde lang, die wir uns küssten & berührten. Denn ja, es folgten noch etwa 25 intensive & leidenschaftliche Minuten beim Landesmuseum.

In der Zwischenzeit waren mehrere Züge in seine Richtung & mehrere in meine Richtung abgefahren. Es war uns egal. Alles war uns egal.

„Sollen wir vernünftig sein?“, fragte er mich um Mitternacht. Das hiess: Sollen wir den letzten Zug nehmen oder in ein Hotel gehen?

Ich war fürs Vernünftigsein. Nicht nur, weil ich zum Übernachten notwendige Utensilien wie zum Beispiel Kontaktlinsenmittel & -behälter, Gesichtsreinigung & ein Medikament nicht dabei hatte, sondern auch, weil ich es für uns beide besser finde, wenn wir uns den nächsten Schritt noch etwas aufsparen, wenn noch etwas bleibt, wenn noch Steigerung möglich ist. Das ist ja genau das Wunderschöne am Kennenlernen mit Amir* gewesen: das langsame & behutsame Vorgehen, die Annäherung auf der mentalen & auf der seelischen Ebene, das Wartenkönnen, die Geduld.

Genau das hat mir ja auch gezeigt, dass er aufrichtig & wahrhaftig an mir interessiert ist. Und nicht an einer, die er möglichst schnell ins Bett bringt. Genau das spricht ja so sehr für ihn. Für seine Integrität, sein Selbstbewusstsein & sein Selbstwertgefühl.

Genau das hebt ihn ja – nebst anderem… – so ab von vielen anderen Männern. Die halt leider oft sooo bedürftig-verzweifelt sind & deren einziges Ziel es ist, die Frau sofort zu bekommen. Weil sie das offenbar nötig haben, weil sie das offenbar brauchen… Die Tatsache, dass Amir* so anders ist & so anders vorging, gibt uns ein starkes Fundament.

Wir waren, nachdem pünktlich zu unserer Verabredung die Sonne hervorgekommen war, zum See spaziert & hätten spontan eine Schiff-Fahrt gemacht, wenn das Schiff nicht grad abgefahren wäre, als wir auf dem Steg am Bürkliplatz zur Anlegestelle gehen wollten. So kehrten wir halt um & spazierten weiter zum Bellevue. Dort angekommen, sah es schon wieder nach Gewitter aus, sodass wir beschlossen, ins Niederdorf zu gehen.

Bei der Bodega Española schlug ich vor, dass wir uns draussen hinsetzen & etwas essen könnten. Und zum siebten Mal nahm ich immer noch ein bisschen erstaunt-erfreut zu Kenntnis, dass es für ihn selbstverständlich ist, ein vegetarisches Gericht zu bestellen, wenn er mit mir ausgeht. So, wie es für mich selbstverständlich ist, keinen Alkohol zu trinken, wenn ich mit ihm zusammen bin. Auch in einer Bodega, einer Wein-Gaststätte, nicht. Gegenseitige Rücksicht ist für uns beide selbstverständlich.

Er bestellte Pisto, das ist Ratatouille überbacken mit Queso Manchego. (Den Taieb & ich so gerne assen in Spanien…) Ich bestellte Tortilla & wir teilten beides. Bevor wir mit Essen begannen, entstanden die drei ersten Selfies von uns beiden. Also drei Monate & zwei Tage nach unserem ersten Treffen. Das war schön.

Und es löste etwas aus. Das merkte ich an der Art, wie er sprach. Irgendwie noch leichter & noch freudiger.

Amir* gehört zu den Menschen, die auf Fotos zwar auch ganz gut, in Realität aber noch besser aussehen. Bei vielen ist es ja, da sie die Fotos bearbeiten, umgekehrt. Aber er sieht face-to-face echt sehr gut aus. Bin immer noch „geflasht“ davon.

Als wir fertig gegessen, er mich eingeladen & ich dem Musiker etwas Geld gegeben hatte(n), spazierten wir weiter durch Zürich. Die Capoeira-Truppe im Niederdorf beeindruckte uns sehr & ich gab auch ihnen etwas Geld. Die Künstler erinnerten mich an die Capoeira-Truppe, die mein Kollege Félix, der Musiklehrer, an unsere Schule eingeladen hatte.

Später spazierten wir noch, wie man so schön sagt, durch halb Zürich, kamen an einem Shisha-Café vorbei, wo viele Türken gebannt den Match verfolgten, an der Wühre der Limmat entlang, nochmals bis zum See & dem Limmatquai entlang wieder zurück zum Hauptbahnhof. Wir redeten über vieles, auch über den Tod von Amirs* Vater. Dieser verstarb vor drei Jahren im Alter von 89 Jahren.

Amir* ist der drittjüngste der sieben Kinder. Was heisst: Er ist ein paar wenige Monate älter als ich. Als er zur Welt kam, sah man jedenfalls die Schwangerschaft meiner Mutter mit mir schon gut. 😄

Am Bahnhof tranken wir im einzigen Restaurant, das unter der Woche bis immerhin 23 Uhr geöffnet hat, noch Tee: er einen Verveine-, ich einen Früchtetee. Gleichzeitig schauten wir die letzten paar Minuten des Matchs Tschechien – Türkei. Die anderen Leute an der Bar kamen mir etwas verloren vor. Heimatlos & dem Alkohol verfallen.

Und dann, ja… –
Dann schliesst der Kreis sich
und
wir sind bei eingangs beschriebener Szene angelangt.

Das war alles so magisch.
So zauberhaft.
So surreal.

Ich kann es jetzt noch kaum glauben…

Amir* ging es genauso.
Seine wunderschönen Nachrichten, die er mir in der Folge, als wir beide auf dem Heimweg waren, schrieb, sind wohl die schönsten Nachrichten, die ich je von einem Mann bekommen habe…

Poetisch…
Sinnlich…
Ehrlich.

Und jetzt könnte ich grad den nächsten Beitrag verfassen über gestern Abend, letzte Nacht & heute Morgen bis zum Mittag.

❤️

☺️

🇲🇦

* Name geändert

 

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