„…, but winter’s here and summer’s really over."

Soeben habe ich den gestrigen Text noch einmal durchgelesen: Da gab es schon ein paar Kleinigkeiten zu korrigieren. Das muss an der Gehirnerschütterung liegen. Ich hatte mir beim Verfassen des gestrigen Texts noch überlegt, ob ich sie überhaupt erwähnen soll. Es wird schon langsam ein bisschen viel…, aber eines der Ziele meines Blogs ist es ja, Realitäten aufzuzeigen. Ohne Rücksicht darauf, ob es vielleicht langsam ein bisschen viel wird. Das ist es ja sowieso oft, das haben gewisse Diagnosen und ihre vielschichtigen und weitreichenden Auswirkungen so an sich, und das ist es ja vor allem für die Betroffenen. Im Wissen darum, dass viele Menschen mit vielen Herausforderungen umgehen müssen. Aber auch im Wissen darum, dass die Rucksack-Theorie niemals funktionieren wird. Denn unsere Rucksäcke sind nicht nur unterschiedlich schwer, wie ich auch schon geschrieben habe, sondern auch unterschiedlich gross, wie gestern Abend eine Bekannte von mir ergänzte.

Sie erzählte mir von einer Freundin, die eine Blutung ins Rückenmark hinein gehabt hat und für mindestens sechs Monate, wenn nicht für immer, im Rollstuhl sein wird, alltägliche Bewegungen wieder erlernen muss und der bei einem Besuch eine ihrer Freundinnen (?) ständig von ihrer Arthrose in einem Knie berichtete. Sie erzählte mir von einer anderen Freundin, die einen psychischen Zusammenbruch gehabt hat und mit Ratschlägen wie „Du musst halt viel an die frische Luft gehen.“ oder „Du musst halt mal ins Theater gehen.“ eingedeckt worden ist. Schon „krass“, wie unsensibel Menschen sein können. Wie unsensibel, undifferenziert und leider eben auch unwissend. Solche Ratschläge (Schläge!) basieren meistens auf einem grossen Unwissen, und vielleicht ist ja gerade dies die „Rettung“ für Betroffene. Dass die meisten es nicht böse meinen. Abgrenzen von „solchen“ Menschen und ihren nutz- und sinnlosen Ratschlägen darf man sich aber trotzdem – und muss man auch.

Das hat mir meine Bekannte gestern Abend auch so ans Herz gelegt. Der Grund, warum ich sie Bekannte und nicht Freundin nenne, liegt in unserem Altersunterschied und stellt nicht etwa eine Wertung der Beziehung dar. Sie könnte meine Mutter sein. Eine junge Mutter zwar, aber es ist eben doch anders als die Beziehungen zu meinen Freundinnen in meinem Alter. Ich habe ihr von Frauen erzählt, die mit einem Arbeitspensum von 20, 30 oder 40 Prozent an ihrem Limit oder bereits darüber hinaus sind und allen Ernstes von einem Burnout reden. Sie haben weder ein halbes Dutzend Kinder zu versorgen noch eine aussergewöhnliche Belastung zu tragen. Dies würden sie nämlich sagen, da sie all die „Peanuts“ des „Alltags“ schon als (grosse) Belastungen empfinden und dies ja auch immer wieder zum Ausdruck bringen. Sie merken einfach nie, wie dies herüberkommt und ankommt und wie dies auf jemanden, der oder die nebst all den „Peanuts“ eine für immer bleibende schwere Erkrankung hat, oder für jemanden, der oder die mit anderen Schicksalsschlägen zurechtkommen und weiterleben muss, wirken kann. Sie merken einfach nie, wie daneben ihre Äusserungen und ihre Klagen sind. Sie merken einfach nie, wie schnell überfordert und wie wenig belastbar sie sind.

Das mag auch „alles“ Gründe haben, auf jeden Fall. In der genetischen Veranlagung, in der Erziehung, in der Prägung durch die Umwelt. Meine Dankbarkeit für meine zahlreichen Ressourcen und für meine Lebensenergie ist denn auch sehr gross. Das Bewusstein um diese Energie und meine Fähigkeiten sowie die Dankbarkeit dafür sind wohl auch die beste Haltung, „solchen“ Menschen zu begegnen. Trotzdem darf man sich von ihnen abgrenzen – weil sie einem nicht guttun. An dieser Stelle passt es aber auch, einmal auszudrücken, dass mir der Umgang und die Freundschaft mit Frauen, die sehr viel leisten und mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit sehr viel leisten, hingegen guttun. Sehr sogar. Alexandra, Tanja, Franziska, Janine, um vier Namen zu nennen. Ich könnte die Aufzählung fortführen und fortführen, aber darum geht es nicht. Es geht ums Prinzip. Freundschaft heisst nicht, dass man immer gleicher Meinung sein muss; das wäre nicht nur unehrlich, sondern auch langweilig. Es geht um Haltungen, Lebenseinstellungen, Werte. Nicht um Wertung, aber um Werte, die sprachlich mit der Wertung natürlich nahe verwandt sind. Ich muss für mich schon werten können, wer mir guttut und wer nicht. Jede(r) sollte dies für sich vornehmen und sich auch eingestehen können. So können wir uns, so kann ich mich von denjenigen, die uns bzw. mir nicht guttun, abgrenzen und denjenigen, die uns bzw. mir guttun, dies vielleicht einmal sagen, schreiben oder zeigen. Ich glaube, dass ich dies so mache; ich glaube aber auch, dass ich es noch bewusster und mit einer grösseren Klarheit machen könnte. Meine Bekannte hat mich in dem, was ich selbst ja auch spüre, bestärkt. Nach dem Gespräch mit ihr hatte ich das Bedürfnis, den Frauen, die mir in ihrer Stärke guttun, dafür zu danken. Die vier oben genannten sollen für alle, die ich meine und die mir dadurch indirekt helfen, stehen.

Die Gehirnerschütterung hätte ich tatsächlich nicht auch noch gebraucht. Sie ist zwar nur eine (sehr) leichte, aber die Schmerzen, die wie Druckwellen durch den Kopf gehen, sind schon unangenehm, mitunter auch etwas beängstigend, da jedes Mal unweigerlich die Frage aufkommt, ob der Druck nach dem Erreichen des Höhepunkts wieder abklingt, und die Vorstellung, dass er nicht abklingen würde, eben eine gewisse Angst auslösen kann. Die unfallbedingten Kopfschmerzen war ich gerade erst losgeworden, und Imurek hat – bis jetzt jedenfalls und im Gegensatz zu Prednison – bei mir nicht zu Kopfschmerzen geführt. Die ebenfalls unfallbedingten Rückenschmerzen, die seit den Osteopathie-Behandlungen deutlich zurückgegangen waren, sind in den vergangenen Tagen leider auch wieder stärker geworden. Frau Richter wird keine Freude haben. Um 15 Uhr habe ich einen Termin bei ihr; mal hören, was sie dazu meint… Dadurch, dass die Kinder Ferien haben, besteht wenigstens genügend Freiraum, sodass ich mich – wie verordnet – zwischendurch hinlegen und ausruhen kann. Wenn ich nicht gerade mitten in einer Therapie wäre, müsste ich auch befürchten, dass die Gehirnerschütterung gleich wieder einen Krankheitsschub auslöst. Wie nach dem Treppensturz im letzten Dezember.

Nein, die Gehirnerschütterung hätte ich nicht auch noch gebraucht. Sie ist meine erste; so, wie der Unfall mein erster nennenswerter Unfall war. Natürlich kommen mir dann manchmal die Worte meiner Hausärztin und auch meines Internisten in den Sinn, dass eine schwere und chronische Krankheit zu einer allgemeinen und dauerhaften Schwächung führt, die sowohl andere Krankheiten als auch Unfälle immer und überall wahrscheinlicher macht… Nicht wirklich lustig, weswegen ich diese Worte wohl zu verdrängen versucht habe. Das ist aber kaum die beste Strategie. Vielmehr versuche ich jetzt, der Schwächung, die ich sowieso akzeptieren muss, meine Stärke entgegenzusetzen, meine innere Stärke. Die ich wiederum nur haben und leben kann, weil ich innere Stärke auch bei anderen Menschen erkenne – ihre innere Stärke. Natürlich werde ich mich an diese Metallstange im Bus und die entsetzte italienische Touristin erinnern. Daneben werden aber mindestens 99 beglückende, bereichernde und berührende Erinnerungen an die sechs Tage in Irland stehen.

Der kleine Junge auf dem Schoss seines Vaters am Flughafen von Dublin, sein hübsches, kleines, feines Gesicht, sein grüner Einteiler, der die Regelmässigkeit in seinen schönen Gesichtszügen noch besser zur Geltung brachte, die Unschuld in seinem Gesicht, die mich bei Babies und kleinen Kindern immer wieder berührt. Die Unschuld auch im Gesicht eines vermutlich vom Downsyndrom betroffenen jungen Mannes ebenfalls am Flughafen von Dublin, die Freude auch, vor allem die Freude, so unbändig und herzlich, als er rannte, immer schneller und schneller, bis er ihn erreicht hatte – seinen Bruder? – und ihm in die Arme sprang – seinem Bruder? Niemals werde ich diese Freude in seinen Augen, seinem Gesicht, diese Spannung und Kraft in seinem ganzen Körper vergessen. Ich hätte beinahe angefangen zu weinen und war einfach nur froh, dass Taieb für einmal nichts bemerkt hatte. Ich mag mich nicht immer erklären…; es gibt in gewissen Momenten auch nichts zu erklären.

Nicht gerade gross war hingegen meine Freude, als der Pilot auf dem Rückflug verkündete, in Zürich gehe ein kalter Wind und die Temperatur liege bei zwei Grad. Ich versuchte, der frohen Botschaft mit Humor zu begegnen: „That cold North wind they call la bise…“ Taieb fand es peinlich.

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