Von Süssem und Saurem

Naila hat sich solidarisch gezeigt und am Mittwochnachmittag, als sie mit ihrer Freundin Carolina und Urs, deren Vater, im Hallenbad in Uster war, auf der Rutschbahn den Kopf angeschlagen. Auf der rechten Seite: perfekt. Wie ich auch – am Samstagnachmittag vor Ostern in Dublin. Die Gehirnerschütterung, die ich seither habe, wird wohl noch eine Weile andauern. Gefährlich wären Schwellungen: Darum keinen Alkohol und keine Süsswaren für zwei bis vier Wochen; deren Konsum könnte Schwellungen zusätzlich fördern. Naila war mit mir beim Arzt, zu dem ich gestern Morgen gehen musste. Meine Hausärztin hat am Freitag frei – wie der Name besagt… – und eine zweite Kontrolle diese Woche war notwendig. Also war ich bei einem ihrer Kollegen. Er war sehr nett. Auch zu Naila, als sie ihm ihre Beule auf der rechten Stirnseite zeigte. Er schaute sie an und gab Naila eine Salbe, die sie selber einreiben kann oder wir ihr auftragen. Sie ist tapfer und meinte: „Bei mir sieht man es von aussen, bei dir von innen!“ Ein Satz, bittersüss. Weil ich das ja so gut, zu gut kenne: dass man es nur von innen sieht. Immerhin das. Menschen mit psychischen Beschwerden haben „nicht einmal dies“: keine Tomographien, keine Spiegelungen, keine Röntgenbilder, keinen Ultraschall, keine Elektrogramme, keine erschreckenden Blutwerte, … Das „bei dir von innen“ ist für mich schon oft schwierig; wie ungleich viel schwieriger muss es für Menschen sein, denen auch die Beweise von innen fehlen… Ich kann es mir gar nicht vorstellen, denn Beweise von innen gibt es bei mir mehr, als mir lieb ist.

Naila sagte zum Arzt: „Meine Mama trinkt sowieso keinen Alkohol.“ Das stimmt natürlich nicht. Wir haben zu Hause keinen Alkohol, da mein Mann keinen trinkt und da ich nur trinke, wenn ich eingeladen bin oder mit Freundinnen und Freunden essen gehe oder ausgehe. Dann trinke ich gerne ein Glas oder zwei Gläser Wein. (Oder Sprizz Apérol. Zum Glück ist das Konzert in München erst in einem Monat. ;-)) Aber nur dann, und nicht mehr. Wenn Naila jedoch gesagt hätte „Meine Mama hat noch nie eine Zigarette geraucht. Meine Mama hat noch nie eine Zigarette auch nur zwischen den Fingern gehabt.“, hätte sie recht gehabt. Absolut recht. Auch „Meine Mama hat nie einen Joint geraucht. Meine Mama hat von Drogen keine Ahnung.“ wäre absolut korrekt gewesen. Ich bin darin so unerfahren, dass es schon fast ein bisschen peinlich ist. Nein, das mit der Alkoholabstinenz ist kein Problem, auch wenn ich an den Konzerten in London und Birmingham gerne ein Glas Wein trinken würde. Das mit den Süssigkeiten stört mich etwas mehr, da ich zwischen den Hauptmahlzeiten schon gerne etwas Süsses esse.

Für Leute, die mich nur von Pausen her kennen, sei es am Morgen, sei es am Nachmittag, mag es so aussehen, als ob ich sehr viel Süsses essen würde. Aber das stimmt eigentlich gar nicht, wenn man es vergleicht mit dem, was ich zum Mittag- und Abendessen esse. Wer mich nur von Pausen her kennt, mag ein ganz falsches Bild meiner Essgewohnheiten haben. Ich kann es mir einfach leisten, zwischendurch Süsses zu essen, und das geniesse ich sehr. Meine diesbezüglichen Gene sind ein Geschenk, meine diesbezüglichen Blutwerte immer tip top – was ich von anderen, nicht durch die Ernährung beeinflussbaren (!) Werten leider nicht behaupten kann – und mein Gewicht ist sehr stabil, ob ich nun einen Berliner weniger oder zwei mehr esse. Nur wenn die Magenschleimhaut auch von Entzündungen betroffen ist, nehme ich ab, weil ich dann nicht viel essen kann. Das ist manchmal etwas blöd, war zum Glück aber noch nie von langer Dauer. Na ja, wie auch immer…, über Ernährung weiss ich viel. Meine Mutter war Ernährungsberaterin – eidgenössisch diplomierte, mit der vierjährigen Vollzeitausbildung und etlichen Praktika an verschiedenen Orten, bevor sie in Spitälern zu arbeiten anfing. Kein Vergleich zu den zahllosen „Schnellbleichen“ im heutigen Angebot… – nebst der „richtigen“ Ausbildung, die es immer noch gibt und die sehr viel anspruchsvoller ist als all die „Schnellbleichen“. Wer mich nicht so gut kennt, kann nicht ahnen, wie viel ich über Ernährung weiss und wie sehr ich zum Beispiel Gemüse liebe – über alles, in „jeder“ Form und alle mir bekannten Sorten. Auch die etwas unbeliebteren wie Auberginen, Blumenkohl, Rosenkohl, … 😉

Meine genetische Prädisposition für Autoimmunerkrankungen kann ich nicht ändern, den Auslöser, die zweite Schwangerschaft, nicht rückgängig machen – würde ich auch NIE, NIE, NIE wollen. Aber meine Lebensqualität kann ich beeinflussen, indem ich einen „gesunden“ Lebensstil pflege. Da dieser aber sowieso zu mir gehört – und „gesund“ heisst für mich niemals fanatisch (!) und niemals asketisch (!) -, konnte und musste ich daran nichts ändern seit den drei Diagnosen. Mein Hauptfacharzt war erstaunt, dass ich nicht einmal während der intensiven und langen Kortisontherapien zugenommen hatte. „Sie nehmen nie zu.“, meinte er nur noch und lachte. Er freute sich für mich, er ist menschlich genauso auf der Höhe wie fachlich. Er hat meine innere Stärke schon früh erkannt, meine Ruhe – vor allem nach Bekanntgabe der (einen) Diagnose. Nicht, weil ich sie nicht verstanden hätte – ganz so dumm bin ich ja nicht… -, sondern weil ich mich noch nie habe unterkriegen lassen und keinen Grund sah anzunehmen, dass ich es genau am 14. Februar 2014 würde tun müssen. Nein – sicher nicht.

Er hat meine Ruhe explizit erwähnt und als sehr positiv wirkenden Faktor erkannt. Dass ich manchmal eine grosse Distanz zu Leuten verspürte, die meinten, ich sei das Gegenteil von „ruhig“, habe ich ihm später einmal anvertraut. Das war befreiend und bestärkend. Leute, die keine Ahnung haben, unter wie viel Kortison oder anderen Medikamenten ich oft stand; Leute, die noch nie einen Prednison-Beipackzettel gelesen haben (Persönlichkeitsveränderungen, bis hin zu Psychosen…); Leute, die den Unterschied zwischen „herkömmlicher“ Müdigkeit und Müdigkeit aufgrund einer schweren Erkrankung nicht kennen – ich gönne es allen, wirklich (!) -; Leute, die sich nicht vorstellen können, wie man sich fühlt, wenn man nicht nur monate-, sondern immer wieder monatelang und somit eben jahrelang zwei bis vier Stunden pro Nacht schläft. Ehrlich gesagt weiss ich selbst nicht, wie man sich fühlt; man fühlt nämlich gar nichts mehr. Man denkt auch kaum mehr. Man funktioniert irgendwie noch – und irgendwann eben auch nicht mehr. So weit hätte ich es damals nicht kommen lassen dürfen. Ich schreibe dies hier nicht für mich – nützt nichts mehr -, sondern für andere Menschen in ähnlichen Situationen.

Denken kann ich mit der Gehirnerschütterung, auf die ich wirklich lieber als auf Süssigkeiten und Alkohol verzichtet hätte, auch nicht immer klar. Gestern Nachmittag erzählte ich einer Kollegin vom Samstagabend in Dublin, vom Essen im „Rasam“, als ob Naila dabei gewesen wäre und vorwitzige Fragen gestellt hätte. Naila hörte es und fragte ganz entsetzt: „Was, iiich?!“ Es war natürlich Taieb gewesen, der Bärbel mit vorwitzigen Fragen löcherte, und ich war einfach nur erleichtert und dankbar, dass sie so offen, verständnis- und humorvoll reagierte… 🙂 Klar denken kann ich nicht immer und hoffe, dass der Text einigermassen verständlich daherkommt. Die gestrigen und vorgestrigen Dauerkopfschmerzen wirken nach. Schmerzmittel nehme ich keine – die Nieren und die Leber haben mit Azathioprin genug zu tun. Erst für das Konzert am Montagabend werde ich wieder Schmerzmittel nehmen. Übel ist mir zwischendurch auch noch, aber dies ist nichts Neues für mich, auch wenn die Art von Übelkeit anders ist. Nicht gewohnt bin ich mir Unsicherheiten beim Gehen; das ist ziemlich „komisch“ und irritierend. Für das Wochenende sind weiterhin mehrere kürzere Ruhezeiten am Tag verordnet, aber vom Montag an sollte ich mich wieder „möglichst viel“ bewegen.

Das habe ich gestern Morgen lieber gehört als die Wein- und Schoggi-Abstinenz: Am Montag um 7.05 Uhr startet nämlich unser Flugzeug. 🙂

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