Heute schreibe ich – ausnahmsweise – einen geplanten Text. Geplant vom Datum her, meine ich, nicht vom Inhalt her. Ich plane nie – weder Inhalt noch Datum. Es fliesst einfach. Ich setze mich aufs Sofa, aufs Bett oder in den Garten – und es fliesst. Ich brauche keine Pläne, keine Strukturen. Sie kommen von selbst. Das Schreiben ist für mich zwar wichtig geworden, aber ich mache es quasi nebenbei: ohne Mindmap, ohne Brainstorming. Ohne Entwürfe, ohne gar nichts – und vor allem nebst ganz viel anderem in meinem Leben.
Für heute hatte ich allerdings einen Text vorgesehen – aus bestimmten Gründen: Heute ist es nämlich genau zwei Jahre her, seit mein Internist in Zürich seine Vorhersage eines milden bis mittleren Verlaufs meiner Autoimmunerkrankung umstossen musste und plötzlich, so ganz plötzlich an jenem 12. Mai 2016, von einem schweren Verlauf sprach:
„Aber schwer und ausgeprägt“,
sagte er zu mir, als wir nach einem Marathon-Termin (meine Form von Marathon, richtig!) die Resultate besprachen. Es war ein Donnerstag, sonnig und warm, in meiner Lieblingsstadt.
Kurz nach den acht Tagen auf Kreta und den vier Tagen in Frankfurt. (Warum habt ihr eigentlich dazu nichts ausgedruckt? Sabine in Frankfurt…! Sabine in der „Schirn“…! Sabine mit Taieb an der Miró-Ausstellung…! (Ich liebe Spanier, das wisst ihr ja mittlerweilen.)
„Tuviste suerte al cruzarte en mi camino, yo te salve de tu destino.“
(Das werde ich für Felí singen und aufnehmen.)
Sabine mit Taieb auf dem Main…!
(Wobei von mir ja nichts zu sehen ist…))
Kurz nach den Ferien, die eben dieser Arzt mir empfohlen hatte; kurz nach den Ferien, die ehemalige Arbeitskollegen und -kolleginnen mir missgönnten und mein ehemaliger Arbeitgeber mit einer krankhaften Besessenheit verfolgte. (Nur Malta und Chris de Burgh waren noch spannender, ha, ha. Wenn ihr wüsstet…!)
Mein Marathon also an Spiegelungen, Ultraschall, MRI und Biopsien; mein Marathon, der mich wohl mehr erschöpfte als euch eure 42 Kilometer, eure Triathlons, eure Bergtouren, Kletterpartien und was es noch so alles gibt, um sich selbst zu beweisen und sich selbst zu spüren.
Und dann, nach diesen Untersuchen die Gewissheit, dass es nicht gut aussieht. Was ich auch nicht erwartet hatte; es ging mir ja auch nicht gut. Trotz Frankfurt, trotz Kreta, trotz Malta, trotz Chris de Burgh. Trotz Bergluft und Schlittelbahn. (Auf der ich damals übrigens nicht war, ihr Lehrer und Lehrerinnen, die ihr meint, Ärzte und Ärztinnen zu sein (Meine (echten) Ärzte und Ärztinnen lachen übrigens darüber. Und ich auch.))
Auf der ich also nicht war.
Der Grund waren durch chronische Entzündungen verursachte Schmerzen.
Und mit Schmerzen kenn‘ ich mich aus
– insbesondere nach zwei natürlichen Spontangeburten ohne jegliche Schmerzmittel, da es eh schon zu spät war und nichts mehr gebracht hätte.
Und kaum waren die Kinder durch die Vagina gepresst, arbeitete die Gebärmutter gleich wieder auf Höchsttouren und bildete sich mit einer Geschwindigkeit und einer Vollständigkeit, die selbst erfahrene Ärztinnen und Hebammen erstaunten, zurück, sodass ich – hollywoodmässig, einfach ohne die geringste Anstrengung oder Askese – zehn Tage nach den Geburten wieder mein ursprüngliches Gewicht und einen flachen Bauch hatte.
Das hat alles etwas mit mir zu tun. Aber das habt ihr (auch) nicht kapieren können oder wollen. Den Versuch, die Besonderheit einer immer und überall vorherrschenden Intensität zu erklären, machte ich ja, aber da wart ihr schon so mitten in eurem eigenen Schlamassel, das mit mir nichts zu tun hat, dass ihr nichts an-, geschweige denn aufnehmen konntet oder wolltet.
Diese Intensität in allem ist typisch für mich. So funktioniere ich, so bin ich. Physisch, psychisch, mental. Wer das erkennt und anerkennt, kann mit mir die besten Zeiten verbringen. (Und ich danke allen, die dies tun; es sind etliche.) Wer das nicht erkennt und anerkennt, versteht mich nicht. (Und mehr, als versuchen zu erklären, kann ich beim besten Willen nicht.)
Ich greife sehr selten zu Schmerzmitteln und bin jeweils verblüfft, wenn ich lese und höre, wie oft viele Leute das eben tun. Ich kann das nicht verstehen – aus verschiedenen Gründen. Aber jedem das Seine und jeder das Ihre. Für mich wäre der wöchentliche oder auch nur monatliche Griff zu Schmerzmitteln gar nichts; ich habe gelernt, anders mit Schmerzen umzugehen, und habe Strategien entwickelt, ohne sie einfach mit Chemie zu übertünchen. Besonders gestört finde ich das im Spitzensport. Echt gestört.
Müdigkeit, die von chronischen Erkrankungen oder starken Medikamenten herrührt, ist eine ganz andere, als wenn der Grund zu viel Party, zu viel Arbeit oder ein schreiendes Baby ist. (Geht vorbei, war gewünscht, kann reduziert, geändert, gelöst werden… etc. etc.; je nach Fall trifft das eine oder andere zu. (Bei chronischen Erkrankungen trifft aber nichts davon zu, nie.))
Habt ihr mal so weit gedacht? Wohl kaum… Aber geurteilt, das habt ihr. Geurteilt: sofort, schnell, unbedacht und unüberlegt. Und ihr seid Pädagogen und Pädagoginnen…!!!
Das haben mir übrigens auch viele gesagt oder geschrieben, die sich zu eurem Verhalten geäussert haben. „Und das sind Pädagogen. Unglaublich. Unfassbar.“
Genau, das seid ihr bzw. das solltet ihr sein und gebt ihr vor zu sein: Vorbilder also, Vorbilder für unsere Jugend. Vorbilder, die so falsch und so hinterhältig vorgehen, wenn eine Arbeitskollegin krank ist. Vorbilder, die so überfordert und überlastet sind, dass sie die Abwesenheit einer Kollegin umtreibt. Die so im Burnout oder anderen Problemen verhangen sind, dass sie überhaupt nicht mehr klar denken können, sich selbst überhaupt nicht mehr spüren, sich selbst täglich belügen und darum alles, was eigentlich mit ihnen selbst, ihrer eigenen Unzufriedenheit und Unerfülltheit zu tun hat, auf das erstbeste Opfer projizieren müssen.
So lässt sich wunderbar ablenken, wunderbar ablenken von den eigenen Unzulänglichkeiten. Ich hab euch wunderbar gedient, wunderbar gedient, um von euch abzulenken. Vielleicht wäre es besser, ihr würdet mal bei euch hinschauen: direkt, unverfälscht, unverlogen und brutal hinschauen. Macht das doch mal. So als Abwechslung zum „Ich hab immer alles im Griff und bin superlässig und supercool“-Gehabe. Macht das doch mal.
Für euer Verhalten gibt es Gründe, für jedes Verhalten gibt es Gründe. Und die Gründe liegen bei euch. Das spürte ich von Anfang an, und das haben mittlerweile ganz viele andere Menschen gesagt oder geschrieben: Frauen, Männer, Ältere, Jüngere, Verheiratete, Singles, (K)akademikerinnen, Nicht-(K)akademiker, Aktive, Ruhige, Introvertiertere, Extrovertiertere…: alle, schlicht und ergreifend alle, die sich zu eurem Verhalten geäussert haben.
Vielen habe ich schon antworten können, andere Nachrichten sind noch ausstehend. Heute Abend schaff ichs jedenfalls nicht; da treffe ich mich mit einem Freund in Zürich. (Nein, nicht Felipe, sonst hätte ich den Namen geschrieben. In seinem Fall geht das mit dem zweiten Namen, unter dem ihn nur seine Familie und engsten Freunde kennen, tip top. Wie ich es mit anderen Freunden handhaben soll, weiss ich immer noch nicht. Den Namen ändern, finde ich irgendwie komisch. Und einige könnten trotzdem erkannt werden…)
Jedenfalls habe ich ein paar Freunde, die in meinem Leben eine (wichtige) Rolle spielen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich zwar als Einzelkind unbeschwert und glücklich aufgewachsen bin, mir aber manchmal einen älteren Bruder gewünscht hätte… Vielleicht könnte ich auch darum – nicht nur, aber auch darum – niemals mit einem Mann verheiratet sein, der eifersüchtig oder auf irgendeine Weise einengend wäre. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mir nichts Öderes vorstellen kann, als wenn mit 35 das ganze Leben vorhersehbar ist und vorbestimmt abläuft. Nur schon der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Die Vorprogrammiertheit, das langweilige Plätschern darin, das Hamsterrad, bei dem wir hier zwangsläufig wieder angelangt sind, sind nichts für mich. Auch dies verbindet mich mit Max Frisch. Wie so vieles.
Vieles verbindet mich auch mit Felí; so viel, dass „Seelenverwandter“ viel besser passt als „Bruder“. Manchmal passiert es natürlich, dass Männer dies missverstehen. Dann rede ich Klartext. Danach geht die Freundschaft entweder weiter – oder nicht. (So passiert vor einem Jahr.) Wer mich also sehen möchte, kann es ja heute Abend in Zürich versuchen. Ort und Zeitpunkt gebe ich allerdings nicht bekannt; das FB-Ausspionieren reicht mir nämlich.
Ihr hättet keine völlig irrelevanten Daten über mich sammeln und schon gar nicht im Personaldossier ablegen dürfen, wie ich von wiederum anderer Seite erfahren habe.
Meine Krankheit wolltet ihr im Zeugnis erwähnen – inklusive Androhung. Versuchtet aber, euch vor den Konsequenzen eben dieser Erwähnung zu drücken. Logisch…
Etwas Feigeres ist mir in 45 Lebensjahren noch nie passiert und wird mir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den kommenden 45 Jahren nicht noch einmal passieren. (Ja, ich werde 90 – mit allem, was ich habe. Sogar mit der Vorstufe von Leukämie.)
Schreibt mir doch mal, ob ich euch je etwas zuleide getan habe…! Und falls ja: Schreibt mir, was ich euch zuleide getan habe…! Schreibt mir doch mal, was ich Falsches oder Schlimmes getan habe…! Schreibt es mir. Schreibt es. Ich bin gespannt darauf. Total gespannt. Aber schreibt es alleine und steht alleine dazu. Tretet mir gegenüber. Tretet mir alleine gegenüber. (Feiglinge haben damit ein bisschen Mühe, ich weiss schon, aber ihr werdet das schon schaffen, immerhin seid ihr Pädagogen und Pädagoginnen.)
Das Ausspionieren meines FB-Accounts („21 gemeinsame Freunde“: Möchtest du dich nicht lieber melden?) sowie das Audrucken in Farbe (!) von mindestens 39 Seiten – ich vermute, es sind noch mehr; ich meine mich zu erinnern, bei der Anwältin auch Fotos vom Tessin gesehen zu haben… – waren nicht nur falsch und hinterhältig, sondern der absolute Verrat: nicht an mir, sondern an euch: Ihr habt euch verraten, ihr habt euch selbst verraten: in eurer krankhaften Besessenheit, in eurer besessenen Krankhaftigkeit.
Der einstimmige Schluss, der gemeinsame Nenner aus sämtlichen Gesprächen, die ich in den vergangenen Wochen über euer Verhalten geführt habe, sowie aus sämtlichen Nachrichten, die ich in den vergangenen Wochen zu eurem Verhalten bekommen habe, ist folgender: krank.
Ihr wart (und seid vielleicht immer noch) krank. (Früher nannten wir es jeweils noch „krankhaft“; jetzt nicht mehr. Das war nicht krankhaft, das war krank. Mental krank, psychisch krank.) Euer damaliges und gewissermassen auch jetziges Verhalten zeigen eure eigene Krankheit: im Gegensatz zu mir nicht eine organische – wobei ich nicht eine, sondern mehrere organische habe, aber lassen wir das… -, sondern eine psychische, eine mentale.
Darin liegen die Gründe für euer Verhalten: totale Überforderung, totale Überlastung. Daraus resultierten all die Aussagen und Handlungen, die jegliches Gespräch komplett verunmöglichten und die euch letztlich demontieren, in psychologische Einzelteile demontieren. (Was ihr selbstverständlich abstreitet; das gehört dazu, hat Programm, ist sogar eines der Hauptsymptome eurer Krankheit.)
Aus euren eigenen Unzulänglichkeiten heraus hattet ihr es auf mich, die ich euch nie das kleinste bisschen zuleide getan habe, die ich nichts Schlimmes, nichts Falsches getan habe, ausser dass ich versuchte, im schlimmsten Schub, den ich je hatte, das Semester zu Ende zu bringen, abgesehen.
Die irrationale Aggressivität, die in eurem Verhalten zum Vorschein kam (und kommt), ist ebenfalls ein Anzeichen von Burnout. Nebst anderem, was schon seit Beginn 2015 darauf hinwies, was längst nicht nur mir aufgefallen war und worunter auch andere litten; ich einfach am meisten, was wiederum typisch ist: Das schwächste Glied in einem Gefüge – und schwach ist man mit mehreren schweren, organischen Erkrankungen leider oft – leidet zuerst und am meisten unter der totalen – und übrigens selber verschuldeten – Überforderung von Vorgesetzten und/oder Mitarbeitenden.
A propos Selbstverschuldung: Ich bin ja an der Kündigung und somit an meinen Krankheiten selber schuld. Gemäss euch, ihr Dreckskerle. (Sorry, aber da gibts keinen milderen Begriff mehr, nur noch Steigerungen…) Das hattet ihr ja behauptet, damit ihr fein raus seid, damit ihr gut dasteht, damit euer Budget kein Loch bekommt. Ha, ha. Da habt ihr jetzt Pech gehabt; jetzt kommt alles und noch viel mehr als alles auf den Tisch.
So, wie ich nach der Pethidin-Spritze alles und noch viel mehr alles rausgekotzt hatte. Einen Tag nach einer ziemlich komplizierten Operation am rechten Fuss, bei der nicht nur mein Fussgelenk arthroskopisch stabilisiert wurde, sondern auch weiter vorne im Fuss ein absichtlicher Knochenbruch herbeigeführt wurde, um die Knochen „besser“ zusammenzusetzen und künftige Fehl- und Überbelastungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren.
Könnt ihr euch das vorstellen? Nicht gehen, nicht einmal aufstehen zu können und sechs Stunden durchzukotzen? Habt ihr das auch schon einmal erlebt? Ja oder nein? Nicht einmal die Möglichkeit zu haben, über der WC-Schüssel zu hängen, sondern darauf angewiesen zu sein, dass Pflegende ständig neue Schüsseln bringen, diese wieder mitnehmen, leeren und rechtzeitig wieder zurück sind, wenn der nächste Schwall kommt?
Eine Woche später stand ich im Musikstudio und sang den Song noch einmal, damit wir Filmaufnahmen dazu hatten: eine Woche später, acht Tage nach der Operation, deren darauffolgende Hochlagerungsphase auf ungefähr vier Wochen angegeben war. Vier Wochen hochlagern: auf dem Sofa oder im Bett. Ich stand nach acht Tagen im Studio und arbeitete mit Elio.
Habt ihr was kapiert? Habt ihr irgendwann im Verlaufe des Lesens (oder Schnüffelns, wie mans nimmt…) in meinem Blog mal was kapiert? Ist euch irgendwann mal ein Licht aufgegangen? Seid ihr dazu überhaupt imstande? Oder seid ihr mental und psychisch an einem Ort, wo das gar nicht (mehr) möglich ist?
Und wie sieht es jetzt aus? Was glaubt ihr? Glaubt ihr, es sei lustig, eine Vorstufe von Leukämie zu haben? (Klar, es bin ja nur ich, da ist es schon nicht so schlimm; vielleicht so schlimm wie bei anderen Angestellten eine Erkältung oder ein Magen-Darm-Grippchen.)
Trotzdem: Was stellt ihr euch vor? Stellt ihr euch überhaupt etwas vor? Seid ihr dazu überhaupt imstande? Dass ich geweint habe, etwa? (Ich kanns euch verraten: Nein. Nein, ich habe nicht geweint. Vielleicht kommts aber mal noch; vielleicht gerade dann, wenn ich es am wenigsten erwarte…)
Was denkt ihr? Dass es „easy“ ist? (Weil ich es bin…, richtig.) Was denkt ihr, wie oft ich schon in der Fachliteratur lesen musste: „nicht heilbar“. Und jetzt hab ichs wieder gelesen, wieder über etwas, wovon ich selbst betroffen bin:
Behandelbar zwar, wie meine bereits diagnostizierte Krankheit. Behandelbar, aber die Behandlungen sind happig. Happig ist auch die Aussicht, dass Behandlungen nicht in jedem Fall anschlagen oder eines Tages nicht mehr anschlagen. Happig ist zudem, dass diese Vorstufe von Leukämie nicht „nur“ eine Vorstufe einer chronischen Form von Leukämie darstellt, sondern auch in eine akute Leukämie übergehen könnte.
Darum der Termin auf der Onkologie. (Da reicht jetzt eben die Hämatologie nicht mehr.) „Haben Sie den Termin beim Onkologen schon?“, fragte die Ärztin gestern Abend, als sie für mich Überstunden machte. „Das wird der Onkologe beurteilen.“, meinte sie weiter.
Und wie sieht es jetzt aus? Was glaubt ihr? Ich hab so viele Ideen, Projekte und Termine, dass ich kaum noch durchblicke. Ich hab so viel Energie, Motivation und Lust an der Kreativität, dass ich mich manchmal überflutet fühle und kaum weiss, wo ich beginnen soll.
Ich war am Mittwochmorgen im Fotostudio, um die definitive Auswahl für meine Website, die bald fertig sein wird, zu vorzunehmen. Danach traf ich mich mit Oli, um die zweite Aufnahme von “Lonely Sky“ sowie das neue Video zu besprechen. Danach traf ich einen Tontechniker, weil die neue Welt mich fasziniert und in ihren Bann gezogen hat. Am kommenden Dienstagnachmittag nehme ich „Lonely Sky“ ein zweites Mal auf. Und dann bald das nächste Lied. Und das übernächste. Und so weiter…
Irgendwie jongliere ich das alles an zehn Lymphdrainage- und den beiden – vorläufig – letzten Physiotherapie-Terminen vorbei. In absehbarer Zukunft wird Physiotherapie wohl auf Lebenszeit dazugehören – das bringt die ausgeprägte Hypermobilität, mit der ich auf Kreta in jeder Yoga-, Pilates- und Stretching-Lektion Aufmerksamkeit erregte, eben auch mit sich. (Um die Überdehnungen und Zerrungen, die mehr oder weniger dazugehören, immerhin eindämmen zu können.)
Stretching, Pilates, Yoga: Das gabs vor zwei Jahren alles auch in dem Hotel. Aber ich war kein einziges Mal dabei, weil ich krank war. Ich schaute den Kindern dabei zu, schoss ein paar Fotos und postete das eine und andere davon auf Facebook. Die ihr ausdrucken musstet, ihr krankhaft Besessenen, ihr an Besessenheit Erkrankten. (Ihr tut mir leid. Eure Krankheit hat was ungleich Schlimmeres als all meine Krankheiten zusammen, verdoppelt und vervielfacht. Das merkt ihr schon, oder? Oder etwa nicht? – Na ja…, eines Tages werde ich diesbezüglich eh noch deutlicher.)
Hier unten füge ich zwei Fotos an aus dem Jahre 2016. Als ich bezahlten Urlaub machte…, genau. Sie zeigen zwei kleine Wunden, eine am Finger, eine am Fuss. Auf den ersten Blick nichts Spektakuläres, nichts Schlimmes. Aber es gibt ein „Aber“. Es gibt sogar drei „Aber“, nämlich:
Erstens hatte ich mich bei den zu sehenden Wunden weder gestossen, geschnitten noch sonst irgendwie verletzt. Sie entstanden ohne jegliche äussere Einflüsse, ohne auch nur eine Berührung von aussen.
Zweitens handelt es sich jeweils nicht nur um zwei kleine Wunden am Körper, sondern um ein halbes Dutzend, ein Dutzend, zwei Dutzend – je nach Schub, je nach Gesundheitszustand. Sie sind rot, entzündet und tun weh.
Drittens habe ich sie nicht nur auf der Haut, also an der Oberfläche, sondern auch im Körperinnern, auf den Schleimhäuten und in sämtlichen Organen, die einen Hohlraum haben. „Sie haben ja richtige kleine Löcher im Hals.“, meinte oben erwähnte Ärztin, als sie letztes oder vorletztes Mal in meinen Hals schaute. (Ungefähr dem Loch in eurem Budget entsprechend, das ihr so sehr fürchtet. Und nein, von Dreckskerlen schreibe ich jetzt nichts mehr…)
Ja, Löcher sind das, kleine Löcher, manchmal auch kleine Geschwüre. Sozusagen überall, wo sie sich bilden können: auf der Haut eben und in sämtlichen Hohlräumen des Körpers… (Steht im Übrigen auf meiner Diagnoseliste; für diejenigen, die plötzlich von nichts mehr wussten. Ha, ha. Wohl ein Symptom von fortgeschrittener psychischer oder mentaler Störung.)
Darum hab ich auch so oft Entzündungen im Mund und im Hals, wie nicht nur Ärztinnen, sondern auch Zahnärzte regelmässig feststellen. Aber euch muss ich dazu ja nichts erklären. Ihr wisst ja eh alles besser. Ihr wisst bestimmt auch, was eine Vaskulitis ist, oder? Nach der Kollagenose hab ich euch schon mal gefragt, aber nach der Vaskulitis noch nie. Aber das schüttelt ihr bestimmt auch ganz locker aus den Ärmeln: was das ist, was das bedeutet… Logisch. Euch muss ich nichts erklären. Und sowieso:
Wenn ich zu wenig erklärte, war es falsch. Wenn ich zu viel erklärte, war es falsch. Was auch immer ich machte: Es war falsch.
Ihr wisst bestimmt auch, warum ich gestern nach dem Lymphdrainage-Termin in der Schulthess Klinik, um die Schwellungen endlich zum Abklingen zu bringen, zu meiner Ärztin nach Bülach musste. Ihr wisst es bestimmt, ihr wusstet ja auch vor zwei Jahren alles besser. Vor zwei Jahren, als feststand, dass es sich nicht um einen milden bis mittleren, sondern um einen schweren Verlauf handelt. Zumindest sah es damals – nach dem Therapieversagen, dem Prednison-Versagen – so aus.
„Aber schwer und ausgeprägt“,
meinte er. Er, der meine Gelassenheit, meine Ruhe immer wieder hervorhebt. Auch damals, an jenem 12. Mai 2016. Meine Ruhe und meine Gelassenheit, über die ich – extra für euch – ein paar Extra-Beiträge verfassen und sie euch widmen werde. Ihr, die ihr meintet, mir diesbezüglich etwas vorschreiben zu müssen und beibringen zu können.
Da reicht ein „Ha, ha“ nicht mehr aus. Es reicht nirgends hin. Nichts reicht an dieser Stelle auch nur annäherndst irgendwo hin. Habt ihr denn während mehr als sechs Jahren höchstens zwei Stunden pro Nacht schlafen können?! Aus Gründen, die an sich schon erschütternd sind?! Habt IHR denn persönlichkeitsverändernde Medikamente einnehmen müssen?! Habt IHR denn all meine Diagnosen?!
Nein. Aber ihr habt viel gröbere Probleme als ich; euer Verhalten ist nur so erklärbar. Und darum, darum werde ich mich damit aussöhnen können: Weil ihr krank wart (und vielleicht immer noch seid). Weil alles, was auch nur ein bisschen aus der Reihe tanzte, störte, forderte, zu viel war. Viel zu viel. Weil ich die perfekte Angriffsfläche bot und ihr aus der totalen Überforderung und Überlastung heraus reagiertet. An der ihr tatsächlich selber schuld wart:
Niemand zwang euch Änderungen und Neuerungen im Wochentakt auf – ein Schnellschuss nach dem anderen. Um anzubieten, was andere Schulen anbieten, insbesondere was Zürich anbietet (Uff!), um auf dem Markt bestehen zu können. Wie Marionetten, an deren Fäden der Markt zieht, Zürich zieht. Und nochmals: Uff! (Von aussen gesehen sieht das alles ziemlich lächerlich aus; das muss jetzt auch mal gesagt sein. Ziemlich lächerlich und ziemlich nach „Copy-Paste“.)
Also eben: Ihr wisst bestimmt, warum meine Ärztin in Bülach gestern Abend für mich Überstunden machte. Mit dem Blut und der Onkologie hat es jedenfalls nichts zu tun. Sondern damit, dass die nach-OP-Fehl- bzw. Überbelastung gewisser Stellen am rechten Fuss zu Entzündungen der Sehnen geführt hat. Die gestern Nachmittag so weh taten, dass die Therapeutin nicht einmal ganz fein mit dem Finger darüberstreichen konnte. Die so weh tun, dass ich zwei Möglichkeiten habe: mit den Krücken zu gehen oder Schmerzmittel zu nehmen. Und, in beiden Fällen, entzündungshemmende Salben aufzutragen. Für das Ausgehen heute Abend habe ich mich für die Schmerzmittel entschieden. Es ist (fast) immer etwas: Genau so ist es.
An jenem 12. Mai vor zwei Jahren, jenem Donnerstag, trat ich leicht und froh in die helle Maisonne hinaus. Nach dem Propofol-Traum. Dem schönen Traum, dem Traum von einer Insel im Mittelmeer…
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(Anmerkungen:
siehe gleichnamige Beiträge ->
„Es ist (fast) immer etwas: Genau so ist es.“
„Von einer Insel im Mittelmeer…“
Mit „ihr“ und „euch“ sind in diesem Beitrag nicht immer die gleichen Leute gemeint; manchmal sind mehrere gemeint, manchmal nur zwei, vor allem jemand. Es variiert und ich habe mir nicht die Mühe gemacht, dies jedes Mal klarzumachen. Doch diejenigen, die gemeint sind, wissen ganz genau, wer wo eingeschlossen ist und wo nicht.)