„Du hast viel Audauer“, sagte Amir* zu mir & schaute mir in die Augen. Ich lächelte ihm zu & nickte. Was grad alles in mir abging, konnte er nicht ahnen.
Wir waren zusammen im Bett in der „Giappone“ Suite der Design Suites Tirano, die zum Hotel Bernina gehören & sehr zu empfehlen sind. Er lag auf dem Rücken & ich kniete neben ihm. Meine Hände glänzten vom „Du & ich“-Kneipp-Massageöl, das ich mitgenommen hatte.
Sie strichen weiter über seinen Körper, währenddem ich den Satz in mir aufnahm. Seine Worte, seine Stimme & sein Gesichtsausdruck zeigten, dass er erstaunt war über meine Ausdauer. Womit er sie umso mehr anerkannte.
Für ein paar Momente wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Ich hätte ihn umarmen & küssen können, ich hätte lachen können, ich hätte aber auch weinen können. So schaute ich zuerst auf seinen schönen Körper, dann in seine warmen Augen & sagte: „Danke, dass du das feststellen & benennen kannst.“
Denn ja: Ich bin eine Frau, die sehr viel gibt. Das ist für mich selbstverständlich, ich kann gar nicht anders. Die einen stellen das fest & benennen es. Andere stellen es zwar fest, können jedoch nicht damit umgehen – jedenfalls nicht fair.
Und dann war da dieser eine, der es nicht einmal feststellte.
Dessen Wahrnehmung aufgrund einer Persönlichkeitsstörung so verzerrt ist, dass er es tatsächlich nicht mal rafft.
Zusammen mit dem narzisstischen Anteil in eben diesem Subtyp gemeinter Persönlichkeitsstörung ergibt sich ein nimmersattes, hochexplosives & hochtoxisches Gemisch an fast schon unglaublichen Verhaltensweisen.
Und nein – wer es nicht selbst miterlebt hat, wer sich nicht angehört hat, was ich so alles an völlig unverhältnismässigen & irrationalen Episoden & Szenen zu erzählen habe, soll bitte ruhig sein.
Einfach Fresse halten.
Eigentlich hätte ich das alles aufnehmen & filmen sollen…
Ganz drüber hinweg bin ich noch nicht, das stimmt. Wer Ähnliches erlebt hat, versteht das auch sofort. Was mich am meisten umtrieb, war die Frage, warum ich mir (viel) zu vieles bieten & gefallen liess, warum ich nicht viel früher einen Schlussstrich zog, warum ich es sogar noch zuliess, dass die perfekt getarnten Egoisten sich als weiss ich was alles ausgeben – nur nie als das, was sie sind: nämlich ganz, ganz krasse Egoisten.
Die Antwort auf die Frage habe ich zwar gefunden.
Diese Klarheit könnte im Kern durchaus erschütternd sein, letztlich ist sie aber unbeschreiblich erleichternd.
Und diese Klarheit hab‘ ich gebraucht, um einen ganz anderen Typus Mann zu finden. Um meinen Wert nicht nur zu kennen, sondern auch zu leben. Um mit einem Mann, der mir auf allen Ebenen ebenbürtig ist, zusammenzukommen.
Der lag also auf dem gemütlichen Doppelbett in der japanisch eingerichteten Suite & hob meine Ausdauer hervor. Mein Gebenkönnen. Mein Gebenwollen. Meine unversiegbare Quelle an Energie & Liebe, mit der ich viel zu verschwenderisch umgegangen war. Sie gehört jetzt ihm.
Ich küsste ihn überall.
Am meisten an verletzlicheren Stellen; da, wo Narben Spuren des Lebens hinterlassen haben…
Dann zog er mich zu sich herunter.
„Leg dich auf den Bauch“, sagte er, nahm das Massageöl & verwandelte sich in den besten Masseur, der mich je angefasst hat.
–
* Name geändert