„Sieht gut aus“,
sagte die Frau, die in der Tiefgarage der Archhöfe aus dem Auto neben ihr ausgestiegen war, zu ihr & lachte ihr zu. Also hörte sie auf, sich zu kämmen, bedankte sich für den freundlichen Hinweis & stieg ebenfalls aus.
Dass
eine Frau zu einer anderen Frau
so etwas sagt,
ist,
sie weiss es nur allzu gut,
alles andere als selbstverständlich.
Solidarität unter Frauen
ist
eher selten.
Dafür,
auch davon könnte sie ein Lied singen,
Neid
eher häufig.
So freute sie sich besonders
über diese herzliche Begegnung.
Das war
an einem Freitagabend im April.
Es war etwas kühl,
aber sie liess die Jacke trotzdem im Auto.
Dann traf sie sich mit ein paar Frauen,
um im Bolero tanzen zu gehen.
Das gefiel ihr,
die Frauen waren sympathisch & offen.
Sie fühlte sich von erster Sekunde an aufgenommen.
Und eben: Das ist nicht selbstverständlich
– leider.
Sie tanzten zu verschiedenen Songs.
„Daddy cool“,
„Jerusalema“,
„Gimme a man after midnight“
und vielen mehr.
Dabei flirtete sie ein bisschen mit einem ganz gut aussehenden Mann.
Der suchte auch immer wieder den Blickkontakt, schaffte es aber irgendwie nicht, ein Stückchen weiter zu gehen,
was ihr dann doch zu wenig interessant war.
Auch tanzte er nicht grad aufregend.
So schaute sie nicht länger zu ihm,
sondern durch den bebenden Raum in die Weite…
Da sah sie ihn.
Er gefiel ihr.
Und,
wie sich kurze Zeit später herausstellen sollte,
sie ihm auch.
Diesen Blick wird sie nie vergessen.
Seinen Blick in ihre Richtung.
Auch nicht ihren Blick in seine Richtung.
Sie streiften sich,
sie trafen sich.
Und lösten etwas aus.
Etwas Wunderbares.
Etwas Erhabenes.
Etwas Unbezahlbares.
Ein paar Minuten später war er plötzlich verschwunden
und
sie hatte Durst.
Also ging sie nach oben an die kleine Bar,
da, wo die anderen Frauen, um dem Gedränge zu entkommen, tanzen gegangen waren.
Ehe sie sich wieder hätte dazugesellen können,
sah sie ihn erneut.
Er trank an der kleinen Bar ein Bier
und sprach sie sogleich an.
„Du hast mich unten gesehen, nicht?
Ich habe dich auch gesehen.“
So kamen sie ins Gespräch.
Er lud sie auf einen Drink ein,
sie bestellte ein Mineralwasser.
Und irgendwie war da
nicht nur die körperliche Anziehung,
sondern auch eine grosse Vertrautheit.
Sie fragte ihn, woher er komme.
Dass er nicht in der Schweiz aufgewachsen war, verriet sein Deutsch.
„Was denkst du?“, fragte er zurück.
„Arabisch“, antwortete sie.
„Nein“, antwortete er,
„türkisch“.
„Passt“, dachte sie.
Danach fragte er sie,
ob sie zusammen tanzen gehen würden.
Ungefähr eine Minute nachdem sie ohne zu zögern eingewilligt hatte, waren sie wieder auf der Tanzfläche.
Diesmal nicht mehr weit auseinander,
sondern eng aneinander.
Sie liebte es,
wie er tanzte.
Mit südländischen Männern zu tanzen,
erlebt sie immer wieder als etwas ganz Besonderes.
Sie bewegen sich
geschmeidig,
anmutig,
einfallsreich,
selbstbewusst,
sexy.
Sie liebt es.
Sie liebt es über alles.
Zwischendurch gingen sie in den Smokers Room, wo er ihr seinen Kollegen, der aus Syrien kommt, vorstellte.
Dass er raucht, findet sie weniger prickelnd.
Nicht etwa wegen den etwas rauchigen Küssen,
nein, das stört sie nicht,
sondern weil sie sich sorgt.
Sorgt um Menschen, die sie gerne hat.
Und ihn hat sie gerne,
hat sie von der ersten Sekunde an gerne gehabt.
Kurze Zeit später tanzten sie weiter.
So, als ob sie sich schon lange kennen würden…
Die anderen Leute nahm sie kaum noch wahr.
Bevor sie sich auf den Heimweg machten,
setzten sie sich noch für ein paar Minuten auf die Treppe vor dem Club & redeten.
Sie hatte ihn auf 41 geschätzt
– nicht etwa wegen des Aussehens,
sondern wegen der Veranstaltung,
die Tanznacht40 hiess.
Sie ging, vielleicht ein bisschen naiv, davon aus, dass alle über 40 waren.
37.
Sie musste lachen.
Das war ja heiss. 😇
Er hatte sie viel jünger geschätzt,
als sie ist,
blieb aber vollkommen cool.
Das Alter ist ja auch nicht so wichtig.
Die physische Anziehung
&
die seelische Anziehung
zählen.
Er bot ihr seine kuschelige Jacke an,
da sie jetzt doch ein bisschen fror.
Sie lehnte jedoch dankend ab;
sie wollte nicht, dass er frieren würde.
Als Bäcker in einer türkischen Bäckerei
musste er
am folgenden Morgen
sehr früh aufstehen.
Und er arbeitet an sechs Tagen pro Woche,
von Montag bis Samstag.
Etwas weniger als acht Stunden pro Tag zwar
– aber sechsmal pro Woche so früh aufzustehen, findet sie hart.
Es tut ihr auch etwas leid.
Sie spazierten zusammen zur Tiefgarage
und
sie fuhr ihn nach Hause.
Er wohnt ein paar Autominuten von ihr entfernt.
Bevor er ausstieg, küssten sie sich innig.
Zum zweiten Mal fragte er sie,
ob sie bei ihm übernachten wolle.
Sie lächelte ihn an.
Und sie war unschlüssig.
„Ich brauche eine Lehrerin“,
flüsterte er ihr ins Ohr.
– – –
Und noch ein Quäntchen Literaturtheorie
in vereinfachter Form:
Autor(in):
Person, die den Text geschrieben,
also die Wörter, Sätze & Abschnitte aneinandergereiht hat
Erzähler(in):
kann die gleiche Person sein,
ist aber oft eine andere vom Autor/von der Autorin (erfundene und) eingesetzte Instanz,
die aus ihrer Perspektive erzählt
&
evt. auch kommentiert
Figuren:
Personen im Erzählten,
die realen Personen entsprechen können
oder
frei erfunden sein können.
Natürlich sind auch Mischformen möglich.
-> Also:
immer aufpassen
mit vorschnellen Schlüssen oder gar Urteilen…!