You have to run a …

Der Tag hätte besser anfangen und besser weitergehen können: Wir haben alle verschlafen und erwachten erst, als vermutlich Alessia an der Türe klingelte und Naila abholen wollte. Vermutlich Alessia war dann schon weg, die grosse Hektik ging los, und fünf Minuten später stand Yannik im Haus, der nicht fassen konnte, dass der gewohnte Ablauf eine Störung erlitten hatte. Eine Minute vor Schulbeginn setzte ich alle drei vor dem Schulhaus ab und drehte „When superwoman cries, …“ auf volle Lautstärke.

Bei der Blutabnahme später fand die Praxisangestellte die Vene nicht bzw. diese verschwand gleich wieder, und das Prozedere dauerte ungewöhnlich lange. Ich schaute standhaft nach links, die Angestellte hantierte rechts, weil wir dachten, nach der Venen- und Nervenprellung am linken Arm sei dies besser so. Das war es dann wohl nicht, und ich weiss jetzt alles, was auf den an der Wand befestigten Papieren steht, auswendig. Der rechte Ellbogen tut weh und sieht von innen auch nicht schön aus – zum Glück ist keine Jahreszeit für kurze Ärmel.

Taieb hat sich im Sportunterricht den Fuss verstaucht und kann nicht richtig gehen. Vielleicht vergass er darum, am Nachmittag die Flötentasche mitzunehmen, sodass ich wegen Tasche und Fuss ein paarmal zusätzlich hin- und herfuhr. Sein drittes Problem besteht darin, dass Joël ihm gesagt hat, Albulena sei in ihn verliebt. „Stimmt das jetzt?“ Ich antwortete ihm, ich wisse es nicht, mir sei aber aufgefallen, dass Albulena sich nach dem Flötenunterricht sehr freundlich von ihm verabschiedet habe.

Meistens bin ich um diese kleinen Sorgen ganz froh; sie lassen die grösseren in den Hintergrund rücken. Blutentnahmen habe ich oft; es geht um allgemeine Entzündungswerte, Leber-, Nieren- sowie Nährstoffwerte: eine Routine, die in akuten Phasen trotzdem jeweils mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist. Auch in Phasen wie jetzt, wo wir (noch) nicht sicher sein können, ob wir tatsächlich eine Remission erreicht haben.

Mit Humor: Ja, wir haben tatsächlich noch einmal über Herrn Kurmann lachen können. Absolut dämlich habe er sich am Telefon benommen, sagte meine Ärztin. Dieses Adjektiv brauche ich sonst nie; hier aber schon, weil es dann doch ganz lustig war, es aus dem Mund von jemand anderem zu hören.

Mit Humor und dann mit Sachlichkeit: weil alles erwiesen ist und es gar nichts anzuzweifeln gibt. Weil solche Verwaltungsärzte die Unterlagen oft überhaupt nicht studieren, nicht einmal kurz anschauen, die Akten manchmal sogar bei Erhalt in den Papierkorb werfen – aus purer Überforderung mit allem oder aus purem Desinteresse an den Geschichten der Patienten und Patientinnen. Das habe ich von richtigen Ärzten und Ärztinnen erfahren; von solchen, die in der Medizin bestehen können und es nicht nötig haben, einen öden Verwaltungsjob als Versicherungsarzt anzunehmen.

Man kann das alles sachlich sehen, solange man nicht selbst betroffen ist. Die meisten Vertrauensärzte – wenn auch nicht alle (!) – haben ein Ziel, das sie verfolgen: ganz sachlich. Klar! Ganz einfach für Unbetroffene. Wofür ich meinen Ärzten und Ärztinnen auch dankbar bin: dass sie mir die von den Arbeitgebern natürlich um alles in der Welt verschwiegene Sachlage dahinter aufzeigen und gleichzeitig verstehen, wie emotional dieses menschenverachtende System für mich werden kann:

Oft kann man Versicherungsärzte an anderen Orten gar nicht brauchen. Sie taugen nicht dazu, in einem Spital oder einer Praxis zu arbeiten, und nehmen dann einen Versicherungsjob an. Da ist ihr Ziel in jedem Fall das gleiche; da müssen sie nur Akten studieren oder können sie auch gleich wegschmeissen; da ist alles strukturiert, genormt und eng.

Mit Sachlichkeit und dann mit Mitleid: ein armer Mensch, der so etwas tut, tun muss. Ich glaube, wenn er hätte, was ich habe, wäre er komplett überfordert. Ich weiss es nicht, aber ich vermute es. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch und treffe ihn heute Abend im „Kaufleuten“. 🙂

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