The land of the free…

Während die Welt Kopf steht und mir die Lust zum Schreiben eigentlich vergangen ist, haben die Kinder ihre eigenen Sorgen.
„Gibt es einen Zvieri?“
„Gibt es einen Nachtisch?“

Gestern ging ich mit Naila in eine Bäckerei in Wallisellen, wo es „vier für drei“ Berliner gab. Naila liebt Berliner. Also bezahlten wir drei und bekamen vier: einen für jedes Familienmitglied. Theoretisch. In der Praxis sah es dann so aus, dass Naila ihren Berliner beinahe verspeist hatte, als wir wieder ins Auto einstiegen, und auf der Fahrt einen zweiten essen wollte.

Ich sah, wie die Konfitüre aus dem Gebäck quoll; ich sah, wie die Konfitüre die kleinen Zähne in ihrem kleinen Mund und ihre Lippen dunkelrot verfärbt hatte. Und gab nach. Zu süss – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Kurz darauf hatte auch ich meinen Berliner gegessen und nahm wie sie einen zweiten, also den letzten.
Nächstes Mal kaufe ich acht Berliner zum Preis von sechs, damit sie dann wirklich für alle reichen.
Na ja…!!!

Ich könnte auch drei oder vier Berliner essen;
mir würde nicht schlecht werden.
Schlecht wird mir vom Essen höchst selten;
schlecht wird mir jedoch von zu starken oder unglücklich kombinierten Medikamenten.
Wenn es zu Hause passiert, geht das ja noch;
wenn es am Arbeitsplatz passiert, kann es unangenehm werden.

Wenn mir am Arbeitsplatz schlecht wurde, ging ich aus dem Klassenzimmer auf die Toilette.
Irgendwie logisch…
Das kann zwischendurch ja vorkommen, aber wenn es sich häuft, wird es auffällig:
Nein, ich hatte nicht jedes Mal vergessen, Blätter zu kopieren;
nein, ich hatte nicht jedes Mal vergessen, die richtigen Bücher mitzunehmen;
nein, ich hatte nicht jedes Mal einen dringenden Anruf zu erledigen.

Mir war schlecht.

Im Auto hörten wir „A better world“ und sangen beide mit: zuerst noch mit Berliner im Mund, dann ohne. Ohne tönte es ganz gut. Duett im Auto.

Nailas Stimme ist immer klar und rein und schön, auch in hohen Lagen.
Sie liebt „Bethlehem“ und „Once in a lifetime“,
ich liebe „Chain of command“ und „Falling rain“. Wir sangen also mit, bis wir zu Hause ankamen, und ich bereute fast, für den Abend keine Gesangsstunde abgemacht zu haben.

Dafür hatte ich noch einen Termin für Fussreflexzonenmassage.
Plötzlich fragte die Therapeutin mich: „Haben Sie einmal gesungen?“
Ich war erstaunt, denn über das Singen hatten wir noch gar nie geredet.

Ja, ich hatte einmal gesungen, in den nennen wir sie einmal gesundheitlich turbulenten Jahren aufgehört und im Sommer 2014 wieder angefangen: bei Sandra in Eglisau, mit grossem Abstand meiner besten Gesangslehrerin.
Ja, ich hatte einmal gesungen und singe wieder.
Und ja, ich hatte gerade vorhin im Auto gesungen.

Dass sie mich zum ersten Mal überhaupt und ohne dass ich je vom Singen berichtet hätte, darauf ansprach, beeindruckte mich.
Später fielen ihr die Reflexzonen der Ellbogen auf. Ja, sie hatten mir in den letzten drei oder vier Tagen tatsächlich weh getan.
Nicht schlimm,
aber so, dass ich daran erinnert werde, dass auch Gelenke betroffen sind.
Und dass auch in Remissionen leichtere Entzündungen auftreten können.

Dafür gibt es auch während eines Schubs
gute Tage,
sehr gute Stunden
und
wunderbare Momente,
Treffen,
Gespräche,
Konzerte,
Valletta…
-> gute Tage, schlechte Tage.

Ich erinnere mich wieder an das Interview mit Susanne Augustin. Vielleicht schreibe ich ihr einmal. Dann sind wir schon zwei, die nicht mehr schweigen.

Es geht um Gesundheit:
die Gesundheit, die von einem Tag auf den anderen abhanden kommen kann;
die Gesundheit, die nach dem Abhandenkommen wieder zurückkommen kann.
Oder eben nie mehr zurückkommt.
Das zu realisieren, ist hart;
damit umzugehen, eine Herausforderung.

„So treasure the moment and hold it before it has gone away…“

Das mache ich, so oft ich kann. Und ich würde mir wünschen, nicht mehr erleben zu müssen, dass unbetroffene und uninformierte Menschen dies falsch deuten. Es ist wie ein Dolchstoss ins Herz.

Taieb und ich sitzen im Zug zwischen Paris und Brüssel.
Auf die Tage mit mir in Belgien hat er sich gefreut.
Ich hoffe, dass sie ruhig verlaufen.

Vorhin beim Umsteigen in Paris ging es mir nicht gut, aber das hat mit der Müdigkeit zu tun. In solchen Situationen muss ich etwas essen; dann hören die Herzrhythmusstörungen auf. Zum Glück habe ich das herausgefunden.

Ich kaufte also eine Quiche Lorraine am Gare du Nord und für Taieb ein Croissant. Die seien viel besser hier als in der Schweiz, findet er. Finde ich auch, klar. So schön golden. So schön fettig… 😀

Jetzt geht es mir wieder gut und ich freue mich, Maryam und Kamran bald zu sehen.
Taieb freut sich auf Sushi, die schwarzweisse Katze, die sich ihren Platz selber ausgesucht hat.
Bei Maryam und Kamran und den Nachbarn.

Und während die Welt Kopf steht, gehen mir den ganzen Tag folgende Zeilen nicht aus dem Sinn: „We’ve been praying for a miracle and that’s what we’ll see, when we’re sailing to America, the land of the free.“

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