(Kein) Drama

Ein wohlwollender Autofahrer wollte mich einbiegen lassen und hielt an. Ich war aber in Gedanken bei dem Song, der gerade lief: „In dreams“. Daher merkte ich nicht, dass er mich hineinlassen wollte.

Erst als er wild gestikulierend weiterfuhr, wurde ich auf ihn aufmerksam. Das war natürlich zu spät. Er tat mir fast ein wenig leid: schon wieder so eine träge Schweizerin!

Dass ich eigentlich gar nicht träge & langsam bin, kann er ja nicht ahnen. Darum musste ich über den kleinen Zwischenfall einfach lachen. Das kann ja auch jedem und jeder passieren.

Oder es kann zur Persönlichkeit gehören. Aber zu meiner Persönlichkeit gehört es nicht. Ich habe in den letzten drei oder vier Jahren mehr vergessen, verloren oder verspätet erledigt als in den ganzen 40 Jahren zuvor.

Diese kleinen, wiederkehrenden Vorkommnisse erinnern mich auch daran, dass ich mich in gewisser Hinsicht verändert habe. Darum bin ich den Menschen, die einen Gegenpol dazu darstellen, eben besonders dankbar. Das sind oft ebenfalls kleine Dinge. Ein Tennismatch mit Taieb zum Beispiel.

Gestern durfte er mit seinem Nachbarsfreund Yannik und dessen Vater auf den Tennisplatz. Zwei Tage lang hatte er sich darauf gefreut. Wir kehrten deswegen extra früher vom Zoo zurück.

Später kam er stolz nach Hause und ging sogleich duschen. Das habe Dani ihm gesagt. Die beiden Tennisbälle, die er mitnehmen durfte, nahm er über Nacht ins Bett.

Heute hab’ ich wieder einmal ein E-Mail bekommen, in dem es am Schluss hiess: „Weiterhin gute Besserung“.

Danke!

Wenn ehrlich gemeint, nehme ich diese Floskel niemandem übel. Sie ist bei chronischen Erkrankungen zwar meist unangebracht, wenn ehrlich gemeint, aber trotzdem in Ordnung. Bei besagtem E-Mail jedoch weiss ich, dass es einfach so eine Floskel ohne Inhalt ist, von einer Person, die Verständnis auf Zeit aufbringen konnte, aber nicht durchblickt, was chronische Erkrankungen und deren Behandlungen alles mit sich bringen.

Dass ich mich seit Februar am Erholen sei, zum Beispiel.

Echt?

Was soll ich dazu noch sagen? Ich kann ja gar nicht erst anfangen zu erklären, warum das überhaupt nicht stimmt. Ich kann nur darüber lachen oder daran verzweifeln, je nachdem, wie es mir gerade geht.

Meistens lache ich aber über solche falschen Annahmen. Das kann ich „nur“, weil ich weiss, dass ich nicht alleine bin und dass die Menschen, die den Durchblick haben oder mich wirklich kennen, hinter mir stehen. Auf diese Menschen bin ich angewiesen. Denn ich neige nicht zu Übertreibungen – im Gegenteil.

Auch diesen Blog hätte ich nicht eröffnet, wenn nicht so viel Unwissen, Pseudowissen und Unverständnis vorhanden wären. Ich hätte geschwiegen und meine Geschichte für mich behalten. Ich bin keine Drama-Queen.

Aber irgendwann hat es gereicht und irgendwann – nein, nicht irgendwann, ich erinnere mich genau, wann, wo und wer es war – hat mir jemand gesagt, ich solle halt mal ein bisschen übertreiben. Das hat gutgetan und ich erzählte zum ersten Mal, dass mir eventuell eine grosse Operation bevorstehe. Aber das war nicht einmal übertrieben. Das war wahr.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert