(No) chain of command

Das Programm für heute haben wir ebenfalls abgeändert. Taieb hatte plötzlich realisiert, dass das „Connyland“ ohne Naila wohl doch nicht so viel Spass bereiten würde, und ich war auch nicht so sehr in Stimmung dafür, da die Augenentzündung nicht nur sichtbar, sondern auch schmerzhaft ist. Wenn die Sonne auf die Augen scheint, halte ich es gar nicht aus. Aus diesen Gründen entschieden wir, am Nachmittag nach Zurzach zu fahren.

Das Thermalbad ist sehr schön und bot genau das Richtige für uns beide. Es gibt verschiedene warme Becken mit 35 oder 36 Grad, Sprudeln, Düsen und Duschen. Am besten gefällt mir das Solebad mit den in schönen Farben beleuchteten Steinwänden und -säulen.

Taieb vergnügte sich vor allem im ziemlich schnell kreisenden Wasserstrom in einem etwas kühleren Becken – draussen und bei prachtvollem Herbstwetter. Wenn ich zu „seinem“ Becken hinaufschaute, sah ich in regelmässigen Abständen seinen Kopf vorbeisausen; manchmal, wenn er zu mir schaute, sein feines, hübsches Gesicht. Er hatte seine Taucherbrille dabei und lachte.

Dann gingen wir zusammen ins Dampfbad. Er wagte sich sogar in den „cold water pool“ mit 18 Grad, währenddem ich im „hot water pool“ mit 39,9 Grad war. Das ist zwar sehr heiss, tut aber gut.

Taieb war zufrieden und glücklich; für mich war es sowieso erholsam. Bei meiner Erkrankung können nebst verschiedenen inneren Organen (wie bereits erwähnt) die Augen und die grossen Gelenke betroffen sein. Wenn die Entzündungen nicht akut sind, hilft das Thermalbad auf jeden Fall. Komplementärmedizin ist, wie der Name besagt, eine Ergänzung und Vervollständigung zur westlichen Schulmedizin.

Bei akuten Entzündungen und im Notfall hilft aber die Schulmedizin. Dann muss es nämlich schnell gehen. Dann ist die ganze Chemie kein Fluch, sondern ein Segen. Dann müssen Brände gelöscht werden, sonst bringen Feuerwehrübungen nichts. Sobald die Entzündungen am Zurückgehen sind, können komplementärmedizinische Methoden guttun und wertvoll sein.

Im Thermalbad darf man keine Fotos machen. Darum habe ich ein anderes Beitragsbild gewählt. Es zeigt die beiden Kuchen, die wir für Taiebs Geburtstagsfeier in der Klasse kurz vor den Sommerferien gebacken hatten. Der eine passte zum Thema „Spiele“ (insbesondere zu „Schach“), das sie grad abgeschlossen hatten, der andere zum Thema „Joan Miró“, das sie zuvor durchgenommen hatten.

Wir wollten ein richtiges Miró-Bild auf den Kuchen malen. Aber da Taieb spontan seinen Schulkollegen Linus einlud und später auch noch Yannik im Haus stand, musste ich von meinen Vorstellungen etwas abweichen. Die Küche sah aus wie in einem Krimi, da ausgerechnet die Tube mit der roten Lebensmittelfarbe aufplatzen, die Farbe in der halben Küche herumspritzen und sich in erstaunlich regelmässigen Abständen auf der Schranktüre niederlassen musste.

Am Montag war ich mit beiden Kindern unterwegs – mit dem Zug. Eine Passagierin sagte, bevor sie am Flughafen ihren Koffer nahm und ausstieg, zu mir: „Ihnen wird es bestimmt nie langweilig.“ Sie sagte es auf eine humorvolle Art, lachend, und ihr Blick verriet mir, dass sie wohl einiges verstanden hatte. Solche Begegnungen sind wie helle Sonnenstrahlen, und ich hoffe, dass sie jetzt irgendwo schöne Ferien verbringt.

Am Ende des gestern erwähnten Songs folgt der Refrain dann – logischerweise, traurigerweise – in der Vergangenheit. „Someone had to pull the trigger, blame it on the Chain of Command!“ John aus Aberdeen bezahlte mit seinem ganz jungen Leben.

Im übertragenen Sinn kann „someone“ oder „I“ damit (ein) Leben retten. Dann braucht es die „Chain of Command“ auch nicht. Niemand anders wird dafür verantwortlich gemacht, niemandem die Schuld zugeschoben.

Jemand hatte es für mich tun wollen, ich hatte mich dagegen aufgelehnt und es ein paar Wochen später selber tun müssen. Im übertragenen Sinn. Und vielleicht mein Leben damit gerettet. Im wörtlichen Sinn.

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