Bilder

„An dir ist eine Schriftstellerin verloren gegangen“, schrieben mir manche.

Wunderbares Kompliment. Danke.

Aber sie ist nicht verloren gegangen, nur ein bisschen spät erwacht. Und sie hat wohl auf den Inhalt warten müssen, da sie am Erfinden keinen Spass hat. Jetzt ist viel Inhalt da. Vielleicht hat ja alles seinen Sinn – „Every writer needs a wound.“ Diese habe ich – wenn Organe so entzündet sind, dass sie bluten, blutet auch die Seele. Auch wenn niemand es merkt.

Auch als Schauspielerin bin ich ganz gut geworden: umso schlechter es mir gesundheitlich geht, desto besser. Das hat (viele) Vorteile, und ich werde es weiterhin so handhaben – meinen Mitmenschen und mir selbst zuliebe. Ich werde weiterhin nicht oft und nicht lange darüber reden, ich werde weiterhin lieber über hundert andere Themen diskutieren. Das wird möglich sein, weil ich angefangen habe zu schreiben. Das Überspielen hat (viele) Vorteile und den übergrossen Nachteil, dass es Leute gibt, die nur das äussere Bild sehen und nur daran glauben.

Dass das äussere Bild vielleicht mit einer gewissen Anstrengung verbunden und ein gewisses Zugeständnis an das Umfeld ist, vermuten sie nicht einmal. Dass die Schauspielerei bei ernsthaften Diagnosen im Vortäuschen von Gesundheit und nicht im Vortäuschen von Krankheit besteht, bemerken sie nicht. Dass äusserlich alles bestens aussehen kann und innerlich so gut wie alles schmerzt, brennt und blutet, können sie nicht nachvollziehen. Sie urteilen aufgrund eines äusseren Bildes, das sie nicht einmal hinterfragen.

Ich habe Bilder vom Inneren meines Körpers: vom Monat Mai, also fünf Monate nach dem Ausbruch des letzten Schubs. Ich sah ganz gut aus im Mai – nach den Ferien auf Kreta. Der Rückflug war für mich persönlich eine weitere Grenzerfahrung, die Ferien waren jedoch abwechslungsreich und erholsam gewesen. Die Bilder des Inneren sprachen eine andere Sprache – nach ungefähr drei Monaten Therapie, da ich mehrere Wochen hatte unterbrechen müssen, nach also ungefähr drei Monaten mit hochdosiertem Kortison immer noch schwere und ausgeprägte innere Entzündungen: Es sah nicht gut aus. Aber ich sah ganz gut aus – äusserlich.

So viel zu bezahltem Urlaub. – Nein, mit Urlaub hat der ganze Schrott nichts zu tun, gar nichts.

Als ich damals nach den Notenkonventen in die Kantine ging, ass ich nichts. Ich trank einen Tee und sagte, ich würde zu Hause mit den Kindern essen. Für die ich niemanden gefunden hätte… (siehe vorletzter Beitrag)

Nein. – Auf meine Mutter ist Verlass; auf Pia, Rahel und Karina ist Verlass; auf ein paar andere, die ich fragen kann, ist Verlass. Kein Verlass ist auf chronische Krankheiten, sie überraschen einen fast jeden Tag: nicht schlimm in der Remission, unerbittlich während eines Schubs.

Nein, die Kinderbetreuung war nicht das Problem. Dass ich keine Energie, keine Kraft mehr hatte zu erklären, war das Problem. Später musste ich versichern, dass auch ich in Zukunft die Kinderbetreuung besser zu organisieren hätte und dass die Arbeit vorgehe. In mir drinnen lief der Film ab: das Blatt, das Blut, das Blatt, das Blut. Das Drücken auf den Stift. Die Schmerzen, das Brennen, der Zusammenbruch. Das Wissen, dass innere Organe entzündet sind. Die Angst, die Unsicherheit. Wenige Tage später alles noch einmal in noch gesteigerter Form: das Wegdriften, die Stimme, die mich zurückriss, die Erfahrung, die mich für immer verändert hat.

„Sometimes we never know when it’s time for letting go. Last night I heard them say: No! We will never let that happen again!“

Den Text kannte ich damals noch nicht. Er könnte passender fast nicht sein. Und ein langer Weg stand mir bevor.

„But it’s a long, long way from here to Bethlehem. Yes it’s a long, long way from here to Bethlehem.“

Der Weg war lang und wird lang bleiben. Und schön und intensiv: voller Zauber, Farben und Musik.

 

 

 

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