Schwarz – Weiss

Auf dem Beitragsbild sieht man wieder den Ort, wo ich am letzten Ferientag noch alleine über das weite Meer bis an den fernen Horizont blickte: Portopetro auf Mallorca.

Heute habe ich aus zwei Gründen besonders oft und besonders gerne daran gedacht: am Morgen, weil ich Gelenkschmerzen hatte; am Nachmittag, weil es grau, dunkel und regnerisch war. Die Sonne und die Wärme von damals habe ich gespeichert und kann ich abrufen – die Bilder helfen dabei. Ich hätte noch stundenlang dort in der Sonne am Meer sitzen können; weit und breit war kein anderer Mensch in Sicht:

Der Anblick der kraftvollen Wasserwirbel liess mich die grossartige und unbezwingbare Natur spüren und als Gegensatz dazu die Kleinheit und Kleinlichkeit menschlicher Verhaltensweisen – Neid, Missgunst, Gemeinheiten. Herr Kurmann kam mir kurz in den Sinn: Wie gemein er gehandelt hatte und wohl in vielen Fällen handelt, wie armselig ihn das macht, wie unendlich viel grösser die Natur dagegen ist.

Auch wie viel grösser andere menschliche Verhaltensweisen sind. Wie diese mich vor allem in den letzten Monaten getragen haben und wie ich vielen Menschen dafür dankbar bin: Jedes Mal, wenn ich am Gebäude, in dem meine Hausärztin arbeitet, vorbeifahre, spüre ich Dankbarkeit. Für ihre Ruhe, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Fürsorge. Ich möchte ihr zu Weihnachten etwas Kleines schenken: „A better world“? Kann sein… Das Album gefällt mir jetzt sehr gut; manchmal muss ich ein Album einige Male gehört haben, damit es mir so richtig gefällt.

Das Beitragsbild von vorgestern zeigt Nailas Räbe, die sie in der Schule für den traditionellen Räbenlichterumzug geschnitzt hatte. Der Umzug fand am Donnerstagabend statt: der Abend, an dem ich erleichtert war, weil die Blutwerte in Ordnung sind, keine inneren Entzündungen mehr vorliegen und daher nicht schon wieder eine Therapie ansteht:

Erleichtert, aber auch so müde, dass ich es draussen kaum aushielt, weil ich bis auf die Knochen fror. Wenn ich so müde bin, dass mir Schwarz vor Augen wird, friere ich schnell und durchdringend: Ich fror also in dieser Menschenmenge. Eigentlich müsste ich Menschenmengen ja meiden. Aber es geht um Lebensqualität. Deshalb war ich beim Singen nach dem Umzug dabei; deshalb wartete ich, bis Naila ihre Brezel und ihren Punsch hatte; deshalb war ich eine Woche zuvor am Konzert im „Kaufleuten“.

Auf dem Rückweg von der Fussreflexzonenmassage blieb ich gestern in einem Stau stecken, kam später als erwartet nach Hause und fand zwei Zettelchen mit Nachrichten der Kinder vor. Sie berührten mich: Naila war bei Pia und spielte mit ihr „Memory“, Taieb schaute bei und mit Yannik eine Schlumpf-DVD. Ich konnte mich ein wenig ausruhen.

Am Morgen war ich zwei Lektionen bei Taieb und zwei bei Naila auf Besuch gewesen. Als ich bei Taieb vom Gruppenraum ins Klassenzimmer zurückging, wurde mir ganz kurz Schwarz vor den Augen, ich verlor ganz kurz das Gleichgewicht und stiess am Rahmen der Durchgangstür an. Das war ganz gut so, weil ich so sofort wieder zu mir kam und zu Taiebs Lehrerin sagen konnte, dass es nicht Taieb gewesen sei, der mich bedrängt habe. (Ihr war es so vorgekommen.) – Nein, bedrängt hat mich die Müdigkeit, bedrängt haben mich die Nachwirkungen der langen und intensiven Therapie, bedrängt haben mich die vergangenen zehn Monate.

Ich erinnerte mich an den Spaziergang am Zürichsee und an die Enten, Schwäne und Möwen: Ein junger, noch grauer Schwan glitt an uns vorüber, die anderen waren weiss. Weiss natürlich auch die Möwen. Taieb gab sich alle Mühe, ihr Gekreische zu imitieren, und wollte wissen, warum sie sich denn so benähmen. Er hatte Lust, sie zu vertreiben. Ich sagte ihm, er solle sie in Ruhe lassen, sie könnten auch nichts dafür, dass sie so sind, wie sie sind.

Vielleicht müsste ich diesen Satz zu mir selbst auch öfters sagen: nicht in Bezug auf Möwen, sondern auf ein paar Menschen. Taieb fand meine Antwort jedenfalls ganz amüsant und liess die Vögel in Ruhe. Wir genossen die Stimmung, das Silbergrau und das Weiss über dem See. Ich erinnerte mich und das Weiss überlagerte das Schwarz, das Helle das Dunkle, das Befreiende das Erdrückende.

„A better world“? Kann gut sein… Wenn mehr Menschen so wären wie sie, wäre die Welt eine bessere.

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