Als ich nach Hause kam, stand Lukrezia im Haus. Klein, dunkelblonde Locken. Sie stand vor unserer Gästetoilette und schaute mich mit grossen Augen an. „Wer bist denn du?“, fragte ich, obschon ich vermutete, es müsse sich um Lukrezia handeln. Naila hatte von ihr erzählt, sie war öfters bei ihr zu Hause spielen oder im Garten baden gegangen.

Es war ein heisser Julinachmittag, ein Mittwoch; ich kam von Zürich zurück. Chemie-Halbzeit oder Halbzeit-Chemie. Auf dem Tisch standen noch Überreste unseres Mittagessens: ein leerer Teller, zwei Gabeln, ein paar „Hörnli“, die über den Tellerrand gefallen sein mussten. Ich erinnerte mich an den Pestoberg, den Naila sich auf ihre „Hörnli“ dressiert hatte. Gross war er gewesen, gross und grün. Naila isst nicht Teigwaren mit Pesto, sie isst Pesto mit Teigwaren.

Ich stellte meine Handtasche auf einen Stuhl; Lukrezia stand noch immer vor der Gästetoilette. Ich füllte eine kleine Glasschale mit „Bärentatzen“ und stellte sie für die beiden Mädchen auf den Tisch. „Momo“, hatte Taieb beim Frühstück zu Naila gesagt. Wir hatten über ihre vielen Haare lachen müssen. Ihre dunklen Locken stehen nach dem Schlafen unbändig ab und fordern ihre Kammkünste allmorgendlich von Neuem heraus. Wenn sie verschlafen und wortkarg am Tisch sitzt und den Kampf gegen ihre Locken noch gar nicht aufgenommen oder aber bereits verloren hat, müssen wir manchmal einfach lachen. „Momo“, hatte Taieb gesagt. „Du siehst aus wie Momo.“

Sie kam aus der Gästetoilette, und mir wurde klar, in welcher Funktion Lukrezia vor der Türe ausgeharrt hatte. „Ich iss äs Frücht!“, rief Naila und griff begeistert in die Obstschale mit den weissen Pfirsichen. Taieb entdeckte die „Bärentatzen“ und stellte fest, dass es für jedes Kind genau sechs hatte. „Häsch das extra gmacht oder isch das en Durchfall?“ 🙂

 

(Das ist meine erste kurze Sommergeschichte, mein erster Sommer-Flash. Ich hätte schon vor einer Woche damit beginnen wollen, aber dann hatte ich wieder einmal eine Augenentzündung und zog das Musikhören dem Schreiben vor… Oft kommt es auch zu Blutungen in der Bindehaut. Diese sind an sich harmlos; viele Leute haben ab und zu eine solche kleine Blutung. Ich habe sie aber ziemlich häufig, und sie sind zwar nicht schlimm, aber auch nicht ganz harmlos, da die Ursache halt keine harmlose ist. Die Kinder finden jedes Mal, es sehe furchtbar aus. Naila hielt mein linkes Auge auf und Taieb machte Fotos. (Für den Fall, jemand müsse daran erinnert werden, dass ich etwas habe…))