Entscheidungen

Von den Augenentzündungen, die mit „meiner“ Autoimmunerkrankung einhergehen, sieht man meist nichts. So, wie man von Entzündungen innerer Organe nichts sieht. Das hat Vor- und Nachteile, wie die Münchner Sängerin Susanne Augustin, die zwei Autoimmunerkrankungen hat (Beitrag „Grenzgänge“ vom 25. Sept.), auch sagt.

Dass man gut aussehen und gleichzeitig eine chronische Erkrankung haben kann, führt manchmal zu Schwierigkeiten. Berührend ist, wenn jemand sagt oder schreibt: „Das wusste ich nicht, du hast mir die Augen geöffnet.“ Das ist ehrlich und hebt sich weit ab von falschen Urteilen und Hobbytheorien.

Die Augenentzündung, die ich seit vorgestern Abend habe, sieht man.

Für einmal.

Gestern Abend wurde sie so stark, dass ich Angst bekam.

Heute Morgen war ich erleichtert, als ich feststellte, dass sie zurückgegangen war.

So, wie ich die Ferien lieber am Strand als im Spital verbringe, bin ich heute lieber mit den Kindern an die Creativa als zum Notfallarzt gegangen. Wir sind mit einer riesigen Tasche voller Bastelarbeiten nach Hause gekommen. Da sind ein paar hübsche Weihnachtsgeschenke dabei. 😊

Augenentzündungen hatte ich auch bei der Arbeit so alle zwei bis drei Monate. Sie behinderten die Arbeit, aber man sah ja meist nichts. Ich sagte auch nie etwas; vielleicht, weil ich ahnte, dass es nichts gebracht hätte, vielleicht, weil mir die Energie dazu fehlte. Ich weiss es nicht und es ist letztlich auch nicht so wichtig.

Wichtig war für mich indes der Hals-/Nasen-/Ohrenarzt, den ich von der Operation der Nasenscheidewand her kannte und zu dem ich einmal ging, als die Augen entzündet waren. Er untersuchte meine Augen, obwohl er ja kein Augenarzt ist, und schickte mich danach zu einem Augenarzt in der Nähe, der aber leider – wie ich (!) – in der Mittagspause war. So hatte ich also zwei Möglichkeiten: warten und zu spät an die Arbeit zurückkehren oder nicht zum Augenarzt, dafür rechtzeitig zurück an die Arbeit gehen.

Ich ging zurück an die Arbeit.

Aus heutiger Sicht würde ich meinen Augen und meiner Gesundheit den Vorrang geben.

Dass man meist nichts sieht, erleichtert und erschwert das Leben immer wieder. Wie Susanne Augustin auch sagt, kommt es auf den Tonfall an. Solange es gut gemeint ist, nehme ich niemandem etwas übel. Ich wüsste ja auch nicht viel über die Komplexität von chronischen Erkrankungen, wenn ich nicht selbst betroffen wäre.

Mir macht es grundsätzlich auch nichts aus, wenn andere sich über Erkältungen beklagen: Eine Erkältung ist unangenehm, eine Angina schmerzhaft und eine Magen-Darm-Grippe mühsam. Nur war ich wohl zu oft in Situationen, zum Beispiel in Lehrerzimmern, wo mehrere Personen zusammen waren, sich über ihre – nicht chronischen (!) – Beschwerden beklagten und alle Anwesenden miteinstimmten. Und ich nicht mitredete.

Weil ich nicht reden konnte. Weil ich nicht ausdrücken konnte, wie es für mich gerade war. Weil ich mich einsam, verloren und in einer fremden Welt fühlte.

Das Schreiben hat bereits geholfen und ich wünsche mir für alle Betroffenen, dass sie eine Form, sich auszudrücken, finden.

Gestern an der Uni sagte die Psychologin, die über das emotional geladene Thema „Hochbegabung in der Schule“ referierte und die irgendwann vom Wissensmangel an vielen Schulen die Nase voll hatte: „Vor drei Jahren war ich an einem Punkt, wo ich mich entscheiden musste: entweder aufhören und etwas anderes machen oder an die Öffentlichkeit gehen.“ Sie entschied sich, an die Öffentlichkeit zu gehen, hält Vorträge, vertritt ihre Meinung und schreibt ein Buch.

Vor der gleichen Entscheidung stand auch ich. Und entschied mich wie Frau Zollinger für die zweite Möglichkeit. Ich denke, dass ich damit auf dem richtigen Weg bin.

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