Gedanken zum Erziehen in 1234 Wörtern

Meine Erziehungskompetenz messe ich:

an der Offenheit meiner Kinder.

daran, dass sie so unkompliziert sind.

daran, dass sie sich schnell und problemlos umgewöhnen und anpassen können.

daran, dass sie fröhlich und herzlich sind.

daran, dass sie „tough“ sind.

daran, dass sie energetisch und aktiv sind.

daran, dass sie sich sozial verhalten und empathisch sind.

daran, dass er weint, wenn ein Lehrer erzählt, sein Vater sei gestorben.

daran, dass sie weint, wenn andere zu Unrecht beschuldigt werden.

daran, dass sie gesellig sind.

daran, dass sie willensstark sind, sich durchsetzen wollen und sich durchsetzen können.

daran, dass sie sich an mir aufreiben und sich abgrenzen und ablösen – aus vollkommen eigenem Antrieb.

daran, dass sie widersprechen.

daran, dass sie rebellieren.

daran, dass sie ihre eigenen Wege gehen wollen.

daran, dass sie, seit sie etwa drei oder vier Jahre jung sind, mit Gleichaltrigen zusammen sind, mit ihnen abmachen, mit ihnen weggehen, sich mit ihnen treffen, sich mit ihnen austauschen, sich mit ihnen messen, sich an ihnen orientieren.

daran, dass sie ständig in Gruppen Gleichaltriger unterwegs sind, oft bereits in gemischtgeschlechtlichen (Gruppen). (Letzteres vor allem sie :-))

daran, dass sie keine Berührungsängste mit dem anderen Geschlecht haben.

daran, dass ihnen ihre Freunde oder Freundinnen wichtiger sind als die Schule.

daran, dass ihnen ihre Freizeit wichtiger ist als die Schule.

daran, dass er gerne Fussball spielt, gerne Fussball schaut und gerne im Rhein schwimmt.

daran, dass sie sich gerne schön macht, gerne singt und gerne reitet.

daran, dass sie sich nicht immer und überall brav, angepasst und genormt verhalten.

daran, dass sie sprühen.

daran, dass sie blühen.

daran, dass sie streiten.

daran, dass sie sich aneinander aufreiben und sich miteinander auseinandersetzen.

daran, dass sie sich an mir aufreiben und sich mit mir auseinandersetzen.

daran, dass es krachen kann.

daran, dass sie humorvoll sind.

daran, dass es mit ihnen oft lustig und witzig zu- und hergeht.

daran, dass sie bescheiden sein können.

daran, dass sie sich selbst genügen.

daran, dass es ihnen genügt, was sie bei anderen antreffen.

daran, dass sie von früh auf gelernt haben, was schlimm(er)e Krankheiten sind und was Peanuts sind – wenn überhaupt.

daran, dass sie sich wegen all‘ der Peanuts nichts anmerken lassen, nicht mal davon erzählen.

daran, dass sie den Sportunterricht gerne haben.

daran, dass sie sich gerne bewegen.

daran, dass sie all‘ die „Bobos“, die auch sie sich zuziehen, sei es im Sportunterricht, sei es in der Freizeit, kaum erwähnen, geschweige denn ein „Geschiss“ draus machen.

daran, dass sie kein Drama brauchen, um aufzufallen und „besonders“ zu sein.

daran, dass sie kein Drama brauchen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen.

daran, dass sie wissen, dass wir sofort und immer für sie da sind, wenn wirklich ’was ist.

daran, dass sie spüren, dass ich mir immer wieder Sorgen mache und sie trotzdem loslasse.

daran, dass sie spüren, dass ich Angst habe – wegen dem Verkehr zum Beispiel – und sie trotzdem loslasse.

daran, dass sie wissen, dass Liebe nichts mit „Verwöhnen“ und „Verwöhnen“ nichts mit Liebe zu tun hat. (Es sei denn mit der selbstbezogenen.)

daran, dass sie ihr eigenes Verhalten beispielsweise in einem Konflikt reflektieren und Fehler, die sie gemacht haben, erkennen können.

daran, dass sie die Vorlieben der Eltern generell doof finden.

daran, dass er mich anruft, wenn die Schweizer Nati gegen Weltmeister Frankreich gewinnt.

daran, dass sie mir schreibt, wenn die Schweizer Nati gegen Weltmeister Frankreich gewinnt.

daran, dass sie „Mama“ rufen, wenn sie mir zufällig in der Stadt begegnen und alleine sind.

daran, dass sie eben dies nicht tun, wenn sie mit Kollegen und Kolleginnen zusammen sind.

daran, dass sie verpeilt, unorganisiert und unordentlich sein können – und oft sind.

daran, dass sie sich in ihrer Unordnung wohl fühlen.

daran, dass sie gar nicht anders können, als sich ihr eigenes Chaos zu erschaffen und sich darin wohl zu fühlen.

an ihrem Selbstbewusstsein.

an ihrem Selbstvertrauen.

an ihrer Selbstfindung.

an ihrer Identität.

daran, dass sie ihren Radius, seit sie gehen können, beständig Stückchen um Stückchen vergrössern.

daran, dass sie ihre Freiheit suchen, sich ihre Freiheiten nehmen und ihre Freiheit leben.

daran, dass sie direkt und unverblümt sagen, was sie denken.

daran, dass sie mir Rückmeldungen geben und mich kritisieren.

daran, dass sie mich herausfordern und mich an meine Grenzen bringen.
(Und manchmal, um ehrlich zu sein, darüber hinaus.)

daran, dass sie meine Grenzen austesten.

daran, dass ich mich dadurch hinterfrage und weiterentwickle.

daran, dass sie ihre eigenen Grenzen abschreiten und überschreiten.

daran, dass ich dank ihnen jeden Tag ein „neuer“ Mensch werde.

daran, dass sie um ihre Stärken wissen.

daran, dass sie auch ertragen können, wenn sie mit ihren unangenehmen Seiten konfrontiert werden.

daran, dass sie nicht geschont werden müssen.

daran, dass sie einander nicht schonen.

daran, dass sie einander – jeden Tag aufs Neue – so viel beibringen.

daran, dass sie mich immer wieder überraschen.

daran, dass ich jeden Tag mit Neuem und Unerwartetem rechnen muss.

daran, dass sie auf Menschen zugehen.

daran, dass sie Tiere gerne haben.

daran, dass sie ihre eigenen Ideen entwickeln.

daran, dass sie zu ihren eigenen Ideen stehen und diese vertreten.

daran, dass sie sich für ihre Bedürfnisse und Wünsche einsetzen.

an ihrer Vorfreude.

an ihrer Freude.

an ihrem Mut.

daran, dass sie wild sein können.

daran, dass sie laut sein können.

daran, dass ihr Leben nicht von Hemmungen und Ängsten geprägt ist, sondern von Leichtigkeit und Lust.

daran, dass das Leben für sie kein Korsett von Normen, sondern ein Spielfeld von Möglichkeiten darstellt.

daran, dass sie tanzen.

daran, dass sie sich nicht schämen.
(ausser ab und zu für Mama – klar)

daran, dass sie sich nicht von jedem Scheiss beeinflussen lassen und nicht jeden Scheiss mitmachen.

daran, dass sie vieles hinterfragen und anzweifeln.

daran, dass sie aufbegehren.

daran, dass sie träumen.

daran, dass sie schon früh selbständig geworden sind.

daran, dass sie an der Selbständigkeit jeden Tag ein Stückchen gewachsen sind.

daran, dass sie am Abend kaum ins Bett zu bringen sind.

daran, dass manchmal die Fetzen fliegen.

daran, dass wir uns danach schnell wieder versöhnen und zu unseren eigenen Fehlern stehen können.

an ihrem Lachen.

daran, dass sie sich verlieben können.

daran, dass sie ausprobieren – insbesondere auch Dinge, die den Eltern nicht gefallen.

daran, dass sie authentisch sind.

daran, dass sie wirbeln und aufwirbeln.

daran, dass sie verzeihen wollen und verzeihen können.

daran, dass ich mit ihnen in Beziehung bin und sie mit mir in Beziehung sind – und zwar auf all‘ den vielen und vielfältigen Ebenen des Lebens.

daran, dass ich mich mit ihnen auseinandersetzen will.

daran, dass sie sich mit mir auseinandersetzen müssen.

—> sich miteinander aus-ein-ander-setz-en – im wahrsten Sinn’ des Wortes (!) – und Widerstand leisten: das, was Jugendliche am meisten brauchen.
(Und auch suchen – auch wenn sie das nie zugeben würden.)

An alle Eltern, die das täglich aufs Neue tun und all‘ die anstrengenden Seiten auf sich nehmen:
Ihr macht es richtig.
Macht weiter so.
Und lasst euch „nur“ von Eltern, die das alles auch tun, beeinflussen oder gar beeindrucken.
Macht es euch weiterhin nicht einfach – euren Kindern zuliebe.
Es ist wie in der Physik: ohne Widerstand keine Reibung.
Und ohne Reibung keine Ablösung.
Und ohne Ablösung keine gesunde Entwicklung.
„Nur“ so könnt ihr ihnen mitgeben, was sie brauchen, und aus ihnen herausholen, was in ihnen steckt.
„Nur“ so seid ihr Vorbilder, die sie herausfordern und weiterbringen.
“Nur“ so lernen sie mit Konflikten angemessen umzugehen.
„Nur“ so werden sie zu verantwortungsvollen Menschen.
„Nur“ so lernen sie, das Leben in seinem ganzen Spektrum zu leben.
Und dieses Spektrum ist sehr weit.
Sehr weit.

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