Spätsommerflash 4 – Blackbox Mensch eben

„Sie sind sehr lieb, hat meine Mutter gesagt“, sagte Ilyas* gestern früh zu mir. Das war natürlich ein schöner Start in den Tag.

Man weiss im Lehrerleben ja nie, was kommt. Gar nie. Es könnte schon in der nächsten Minute ‘was Schwieriges auf einen zukommen. Blackbox Mensch eben.

„Gut, dass er dich hat; er braucht so jemanden wie dich“, sagte meine Kollegin Alma* in der Pause zu mir. Mit „er“ meinte sie Elio*. Dies, nachdem ich mit ihr ein bisschen über ihn geredet & ihr meine Pädagogik-Philosophie etwas näher gebracht hatte.

Dass ich mir ganz sicher nicht aufschreibe, was frühere Lehrpersonen von einzelnen Schülern & Schülerinnen halten, dass ich keine Akten über sie konsultiere oder gar führe. Dass ich ihnen unvoreingenommen & vorurteilslos begegnen möchte. Dass jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt einen Neustart verdient hat & dass wir Erwachsenen, wenn wir denn ehrlich sind, ja auch ab & zu froh sind, wenn uns ein Neustart ermöglicht wird.

Sie sieht das genau gleich & war grad kurz sprachlos, als ich das so klar äusserte. Und sehr froh darum. Um meine Lebenserfahrung & die Reflexion auch.

Und ja – sie haben so recht, Alma* & Ilyas‘* Mutter. Ich habe ein grosses Herz. Um es mit mir zu verkacken, braucht es viel. Zu viel, wie mir immer mal wieder gesagt worden ist. Ein zu grosses Herz, wie mir auch öfters gesagt wird.

Solange das nicht ausgenützt wird, ist soweit alles in Ordnung. Aber es wird eben bisweilen ausgenützt. Es gibt bisweilen Leute, die mit der fast schon unendlich grossen Flexibilität, Offenheit & Grosszügigkeit nicht umgehen können. Die überfordert damit oder neidisch darauf oder beides zusammen sind. Und meine Grenzen, die extrem weit aussen sind, überschreiten. Und am Ende sogar alles komplett verdrehen.

Gerade Jugendlichen gegenüber bin ich besonders tolerant. Und zwar von Herzen. So hab‘ ich denn auch 95% der Jugendlichen gerne – sehr gerne sogar. Wer es schafft, zu den 5% zu gehören, die ich nicht gerne habe, sollte bei sich hinschauen & an sich arbeiten. Aber eben – wir wissen es ja: Es sind meist genau diejenigen, die genau das nie tun. Weil wahrscheinlich sooo vieles hervorkäme, dass sie sich davor fürchten.

„Die Traumata über Generationen darfst du nicht unterschätzen“, meinte Alma*, als wir am Nachmittag miteinander in der Laube sassen. Sie konnte nicht ahnen, dass ich mich dieses Jahr quasi gezwungenermassen mit transgenerationalen Dämonen beschäftigt habe. Anyway, sie fand es cool, mit mir ein bisschen zu fachsimpeln.

Nicht, dass ich selbst davon betroffen wäre, nein. Dazu bin ich viel zu unabhängig & viel zu frei. Projektionen, denen ich in den vergangenen Jahren durchaus ausgesetzt war, hab‘ ich durchschaut & zurückgewiesen. Denjenigen, die mir dabei geholfen haben, danke ich sehr. Aber ich habe ein völlig verstricktes Familiensystem gesehen, wo die transgenerationalen Problematiken zum Himmel schreien. (mehr dazu andere Male)

Jetzt hab‘ ich grad eine Berufsmaturitätsklasse. Danach gehts direkt zum Kennenlernen einer der Hobbybands, die mich angefragt haben. Wir haben mal „Yesterday“ von den Beatles, „Knocking on heaven‘s door“ von Bob Dylan, „The River“ von Bruce Springsteen & „What‘s Up“ von „Four Non-Blondes“ geplant… 😊

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