Nachtarbeit

Die Kinder kamen am Mittag etwas verspätet nach Hause. Sie hatten Nahoms Grab besucht. Der Friedhof liegt am Schulweg, und sie öffneten das Tor, suchten das Grab und blieben eine Viertelstunde dort. Es sei das Grab, wo am meisten Blumen ständen, berichteten sie.

Am Abend spielte Taieb mit seinem Schulfreund Joël auf dem Pausenplatz Fussball. Als ich ihn abholte, erzählte Joël mir, dass Taieb seinen Gummiball auf das Grab gelegt habe: einen kleinen, bunten Gummiball, den er am letzten Sommernachmittag in diesem Jahr im Freibad bekommen hatte. Am vergangenen Mittwoch also, am Tag, an dem Nahom starb.

Taieb liebte den Ball über alles.

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Kortison hat viele Nebenwirkungen. Nicht nur, dass die Nebennieren die körpereigene Cortisol-Produktion einstellen und nach dem Absetzen die Produktion verzögert und verlangsamt wieder aufnehmen, sondern auch, dass die Haut (sehr) trocken und dünn werden kann, die Haare ausgehen, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Augenprobleme auftreten können. Ausserdem nehmen viele Patienten & Patientinnen zu.

Davon blieb ich verschont und bin froh darüber. Nicht, weil mir die Figur wichtig wäre – Kalorien interessieren mich wie Autos: nämlich gar nicht. Wir haben nicht einmal eine Waage zu Hause.

Aber es gehört einfach zu mir, dass ich schlank bin. Dafür habe ich gute Gene und es wäre für mich aus dem Grund zusätzlich schwierig gewesen, wenn ich zugenommen hätte. Ich wäre nicht mehr ich selbst gewesen.

(Ich war sowieso nicht mehr ich selbst. Aber dazu ein anderes Mal.)

Mein Gewicht war bei Herrn Kurmann so hoch wie sonst nie. Schade, dass er mich nicht fragte: „Denken Sie, Sie hätten zu- oder abgenommen?“

„Bei Ihnen hatte ich auf bisher ungeklärte Weise plötzlich zugenommen. Wenn die Entzündungen auch die Magenschleimhaut betreffen, nehme ich ab. Und sonst bin ich einfach ich selbst, immer ungefähr gleich schwer.“

Dass Sie auf dem Papier sogar noch aufrundeten – meine Kleider haben Minusgewicht, ich weiss… – spricht für Sie. Dass wir Sie und die ganze Maschinerie durchschaut haben, ist das eine. Dass ich weiss, wie ich mich wehren kann, das andere.

Und bevor ich Sie und die ganze Maschinerie (vorerst einmal) in Ruhe lasse, möchte ich es nicht versäumen, mich zu bedanken. Sie haben versucht, mir aufzuzeigen, wie ich die Nächte, in denen ich ja nicht schlafen kann, sinnvoll nutzen kann: mit Aufräumen, Waschen und anderen Haushaltsarbeiten. Da wir in einem Haus wohnen, würde ich damit ja niemanden stören, meinten Sie.

Danke für diese Tips!

Sie lassen mich – und dazu braucht es wirklich viel – sprachlos zurück.

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