Herr K. und Nikolaus

Die Autokorrektur ist etwas Gefährliches & eher selten etwas Nützliches. (Ich sollte sie ausschalten, ich weiss.) Jedenfalls schrieb ich dem Herrn vom Schlüsselservice die benötigten Angaben und prompt wurde aus KABA Kabarett. Kein Wunder, landen auch harmlose E-Mails ab & zu im Spam-Ordner. 🙂

Zum Glück las ich es vor dem Senden noch einmal durch; so, wie der Herr am Telefon auf mich gewirkt hatte, wäre das mit dem Kabarett wohl nicht so gut angekommen. Er erzählte mir ein halbes Dutzend Angelegenheiten, die nicht wirklich etwas mit meiner Anfrage & unseren nicht einwandfrei funktionierenden Türschlössern zu tun haben: zum Beispiel, dass er gerade privat unterwegs sei & in einem Altersheim helfe, um mit den Rollstuhlfahrern & -fahrerinnen spazieren zu gehen. Ich erinnerte mich, dass er schon letztes Mal auffallend redselig gewesen war.

Eigentlich nicht schlimm; ich versuche ja immer wieder, Gegensteuer zu dieser sinnlosen Hetzerei zu geben & mit den Menschen zu reden bzw. ihnen zuzuhören. Zudem finde ich seine Freiwilligenarbeit eine lobenswerte & wertvolle Sache.
Eigentlich nicht schlimm; nur, dass ich den Kindern versprochen hatte, sie nach dem Musikkurs abzuholen & mit ihnen nach Wallisellen zu fahren, wo sie für meine Mutter „Samichlaus“ (Nikolaus) spielen durften.

Gut, ich schaffte es dann, sie zehn Minuten später auf dem Weg aufzugabeln & im beginnenden Abendverkehr die zwanzigminütige Strecke in 30, gefühlten 40 Minuten zurückzulegen. Es hatte sich trotzdem gelohnt; nur schon die Aufregung der Kinder, die beiden „Biber“ (gefülltes Lebkuchengebäck) in Form eines Nikolaus‘ & eines „Grittibänzen“ unbemerkt in den Briefkasten zu legen, dann zu klingeln, mit verstellter Stimme in die Gegensprechanlage zu reden, sich hinter Bäumen zu verstecken, zu warten, bis meine Mutter kam, und Tannzapfen in ihre Richtung zu werfen, war die Geduldsprobe wert gewesen.

Das Wort „Grittibänz“ habe ich schon einmal in einem Beitrag verwendet & danach nachgeschaut, wie man ihn wohl in Deutschland nennt. Dabei stiess ich auf ungewöhnlich viele verschiedene Ausdrücke, je nach Bundesland; zudem auf Ausdrücke aus weiteren umliegenden Ländern. Das war ganz amüsant… Grittibänzen also backe ich morgen Nachmittag mit den Kindern & freue mich schon darauf. Ihre Freude hat etwas so Ursprüngliches, Natürliches & Bezauberndes. Ich wünsche mir für sie, dass sie viel davon behalten können.

T. half letzthin auf dem Schulweg einem älteren Herrn, der daran war, einen Stuhl in sein Haus zu tragen.
T. ist auch derjenige, dem das „Samichlaus“-Gedicht, in dem der Esel angetrieben wird, nicht gefällt, weil er findet, das sei gemein für den Esel.
Nach dem Helfen kam er mit einer Packung Kokosmakrönchen nach Hause. Die sechs Makronen mit uns zu teilen, fiel ihm dann allerdings etwas schwer… Aber auch dies wird er noch lernen; er schenkt an sich gerne & ist vorhin begeistert zu Rahel gelaufen, um ihr einen Tee von einem der Münchner Weihnachtsmärkte zu schenken. „Cleopatras Schönheitstee“…; ich hoffe, sie versteht es richtig. 🙂

N. wird Pia morgen einen „Best Friends“-Tee bringen. Mit Pia hatte sie die Lebkuchen gebacken & verziert, die auf dem letzten Beitragsbild zu sehen sind. Das war am Donnerstagabend, als ich vom Arztbesuch in Zürich zurückkam. N. war bei Pia am Backen & Verzieren, Taieb war bei Yannik & durfte dort auch gleich essen. Wie schon so oft dankte ich Gott, an den ich nicht wirklich glaube, zu dem ich aber doch eine Beziehung habe, weil ich eben doch glaube, dass es mehr gibt, als wir nachweisen können, für die gute Nachbarschaft, die nicht selbstverständlich, in meiner Situation aber wohl besonders wichtig ist & die auf Offenheit & Hilfsbereitschaft beruht. Ich war froh darum, weil ich so noch eine halbe Stunde auf dem Hometrainer „fahren“ konnte, bevor ich vier Tage Pause einlegen würde, da N. & ich vom Freitag- bis Montagabend in München waren.

Bis jetzt machte ich jeweils Pausen von einem Tag oder zwei Tagen, aber die vier Tage waren auch in Ordnung. Heute Abend „fuhr“ ich wieder; es läuft eigentlich nicht schlecht. Ich hätte mehr Probleme mit den über ein Jahr lang kaum gebrauchten Muskeln erwartet. Auch die Herzrhythmusstörungen unmittelbar danach oder in der Nacht waren von kurzer Dauer. Bis die Kondition wieder auf einem einigermassen als „normal“ zu bezeichnenden Niveau ist, werden allerdings noch mehrere Wochen oder Monate vergehen. Wenn ich Treppen hochsteige, merke ich, dass ich schnell zu wenig Luft bekomme – wie heute Morgen zum Beispiel. Dann warte ich jeweils einen Moment, bis ich an der Türe klingle, um noch zwei- oder dreimal tief durchatmen zu können. Eben: Die Folgen sind vielschichtig & vielfältig; von den meisten sieht man nichts.

Froh war ich am letzten Donnerstagabend auch darum, weil ich nicht nur mich bewegen, sondern auch ein wenig abschalten wollte. Ob die im August erreichte Remission nämlich stabil bleiben wird, ist nicht sicher. Es sieht zwar schon ganz gut aus, aber trotzdem steht noch einmal – oder wieder einmal… – ein fachärztlicher Untersuch an, der mehr über den Zustand der inneren Organe & die Entzündungsaktivitäten aussagt als die gemessenen Blutwerte.

Auch die Dauer & die Heftigkeit der letzten Augenentzündung legen einen Untersuch nahe. Gut daran ist lediglich, wie mein Arzt in Zürich bestätigte, dass nicht auch noch eine Uveitis daraus entstanden war. Zudem meldet er mich bei einem Rheumatologen, mit dem er & sein Praxis-Kollege zusammenarbeiten, an, damit die Gelenkschmerzen von einem Fachmann behandelt werden. Auch darüber bin ich froh, da ich sicher sein kann, in guten Händen zu sein.

Klar, es gibt sie, die Ärzte & Ärztinnen, die bestimmten Kollegen & Kolleginnen zu schnell & zu oft Patienten & Patientinnen zuschanzen. Es gibt sie, die Ärzte & Ärztinnen, die zu oft & zu schnell Medikamente verschreiben. Es gibt sie, die Ärzte, die sich von der Pharmaindustrie & -lobby lenken & leiten lassen.
Und es gibt diejenigen, denen es um den Menschen geht, die zuhören, verstehen & helfen, wo sie können, und die versuchen, die Therapien so individuell, wirksam & verträglich wie möglich zu halten.

Mein Facharzt ist vorsichtig und, wenn es möglich ist, zurückhaltend; bei mir wird er in Zukunft noch mehr aufpassen, weil ich Prednison so schlecht vertragen habe & immer noch mit erheblichen Nachwirkungen zu kämpfen habe. Das sagte er mir am Donnerstag so.
Und dass ich Imurek nicht nehmen konnte, versteht er diskussionslos. Nicht konnte. Nicht: nicht wollte. Herr K. schrieb in seinem Bericht, ich hätte die Therapieempfehlungen nicht umgesetzt. Was mein Arzt, dessen Empfehlungen ich also nicht umgesetzt habe, nicht ernst nehmen kann. Vom menschlichen Standpunkt her vor allem. Welche Ironie… („Brauchen Sie denn Imurek, Herr K.?“)

Gelenkentzündungen sieht man ebenfalls nicht. Herr K. nahm sie nicht ernst. Das sei in so gut wie jedem Fall so, sagte mir am Morgen ein unter anderem auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt. Der Satz überraschte mich nicht mehr wirklich, bestätigte lediglich die mittlerweile ziemlich zahlreichen Aussagen weiterer Fachpersonen sowie meine eigene Erfahrung. Er nahm sie nicht ernst. Er hat sie ja auch nicht. Ich habe sie & ich kann sie nicht einfach in die Schublade legen – wie er seine Unterlagen, die er nicht einmal anschaut, und seinen Bericht, den er in Unkenntnis der Krankheit verfasst hat, wie mein Facharzt sich äusserte.

Er nahm sie nicht ernst: Sie dienen seinem Ziel ja auch nicht. Vielleicht schicke ich ihm dann die Resultate des Rheumatologen. Andererseits werde ich wohl doch den Weg, den mir meine Hausärztin & heute Morgen eben auch der Rechtsanwalt empfohlen haben, beschreiten: den Fall „Herr K.“ für mich zwar verarbeiten & alles, was es zu schreiben gibt, auch schreiben, sonst die Sache aber „vergessen“ & berufliche Veränderungen weiterplanen. Finanzielle Konsequenzen haben der Besuch & der Bericht für mich ja keine. Was eben auch speziell ist, um es einmal so zu sagen. Die wissen schon, warum…

Die Krankheit, über die er offenbar kaum etwas weiss & die er selbst nicht hat, verlaufe schubweise & bleibe kontroll- & behandlungsbedürftig. Ein Schub könne mehrere Wochen dauern, schrieb er. Das ist nicht falsch. Aber es ist sehr beschönigend & sehr unvollständig. („Hatten Sie schon einmal einen schweren Schub einer schweren Autoimmunerkrankung, Herr K.?“)

Ein Schub kann nämlich auch mehrere Monate dauern. Acht Monate zum Beispiel. Oder zehn. Oder länger als ein Jahr. Die Krankheit kann auch in einen progressiven/progredienten Verlauf übergehen & gar nicht mehr richtig weggehen. Das tut sie zwar sowieso nicht, aber ich meine die Symptome & die Beschwerden. Und wenn ein Schub vorüber ist, geht es einem nicht einfach wieder gut. Das ist viel, viel zu kurz gedacht. Ärzte & Ärztinnen, die für Patientinnen & Patienten arbeiten, wissen das. Diejenigen, die für Versicherungen arbeiten, wollen & dürfen es nicht wissen.

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